Diese Simi sah so umwerfend gut aus, dass Jana sich dringend schützen musste. Sie sah sie nicht mehr an. Sie gab sich cool, was ihr zu diesem Zeitpunkt nicht schwerfiel, da sie betrunken und zugedröhnt war. » Du … woher kennst du denn das kleine Äffchen? Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals gesehen zu haben.«
»Hm, sie war in der Rave-Szene und so. Ich kenne sie noch aus Brod, aus der Grundschule.«
»Gehört sie nicht zu uns?«
»Du meinst, ob sie eine Lesbe ist? Ja, doch, sie ist eine Lesbe, aber sie bewegt sich in anderen Kreisen.«
»Aha! Interessant.« Jana reichte Ana ihre Hand, die sie dankbar annahm.
»Was ist interessant?«
»Nichts, nur dass so ein Girlie zu uns gehören kann«, sagte Jana nachdenklich und schüttelte Anas Hand etwas unsanft ab.
Noch eine Stunde zuvor hätte sie das aufgeblasene Püppchen am liebsten hinausgeworfen.
»Komm her, komm her«, rief Simi jetzt einladend und zeigte auf das Bord, an dem sie saßen. »Das habe ich für uns vorbereitet.«
Janas Gesicht hellte sich auf, als sie die Line sah, nicht so sehr wegen des Pulvers, sondern wegen der ausdrücklichen Einladung an sie persönlich.
Aus den Lausprechern dröhnte zu laute Musik, Rave oder Techno oder so ähnlich. Simi sprang auf, packte Jana am Arm und zog sie mit. Sie wirbelten wild an der toten Jukebox, den Stühlen, Tischen, dem Tresen und allen anderen im Raum vorbei. Die ganze Kneipe wurde zu ihrer Tanzfläche. Adelajde ging es ganz schön auf den Geist, aber sie konnte keine Ordnung schaffen und stellte sich gleichgültig. Sie nahm Rücksicht auf den Propheten, der sich wie ein Derwisch in seinem eigenen Kreis drehte. Ana saß still, rauchte und klopfte mit der Hand auf ihren Oberschenkel. Kurz zuvor hatte Simi ihr auf der Toilette heimlich eine braune Line angeboten. Die anderen durften es nicht sehen, weil sie gewöhnlich gegen Horse waren oder keine Ahnung davon hatten.
Simi war von Speed und Horse zugeknallt, hüpfte vor Freude und sah sich als sexy Raverin; ihr letztes gutes Shooting hatte sie bei einer italienischen Modezeitschrift, ob es überhaupt eine war, wusste sie nicht, aber sie haben gut gezahlt. Sie prallte gegen Leute und Stühle (was ihr beide nicht übel nahmen) und flog zum zweiten Mal auf den Boden, was sympathisch war. Jana hob sie jedes Mal auf. Freudig bückte sie sich, nahm sie an den Schultern und legte die Hand unter ihren Hinterkopf, damit sie nicht nur am Arm in die Höhe gezogen wurde: Sie war zerbrechlich und Jana durfte ihr nicht wehtun. Aus irgendeinem Grund rutschte Simi wieder aus und fiel auf den Hintern. Sie warf sich übermütig auf den Rücken und ruhte sich aus. Als Jana sich über sie beugte, um sie aufzuheben, formten Simis weinrote Lippen samtige Worte: Hat keinen Sinn. Jana überlegte kurz, was keinen Sinn habe, und Simi zog sie auf sich und küsste sie leidenschaftlich.
Sie lagen mitten im Lokal und knutschten. Jana wurde völlig verrückt. Der Prophet formte mit den Händen einen Rahmen, als wollte er sie fotografieren, sie seien so süß, das beste Fotoshooting ever.
[...]
Mit der freien Hand hob Ana den letzten gerollten Joint vom Boden auf. Sie steckte ihn in Janas Mund und flüsterte ihr heiser ins Ohr. »Rauch, mein Herz und stirb!«
»Gern!« Jana freute sich über den eigenen Gleichmut. Als Ana die Hand auf ihren Bauch legte, stellte sie erleichtert fest, dass sie so zugekifft war, dass die Aussicht auf Sex sie nicht in dem Sinne erregte, dass sie sich die Frage stellte, ob sie sich wortlos vögeln lassen oder ob sie an diesem Abend sehr aufmerksam auf die Reihenfolge und Vielfalt der Befriedigungen achten sollte. Auch bei Anas immer tieferen Atemzügen dachte sie nicht darüber nach, was gleich geschehen würde oder was sie täte, wenn Ana es zunächst nicht schaffte, die einzige richtige Stelle zu reizen, die bei allen woanders ist. Kurzum – erstmals nach langer Zeit kümmerte sie sich nicht um die Frage ihrer eigenen Mitwirkung im Bett.
Dennoch war sie oft in die Szene in der Hoffnung gegangen, zumindest befriedigende Flirts, Küsse und vielleicht auch mehr zu erleben, ohne sich zu sehr daran zu beteiligen. Sie wollte eintauchen, nicht ganz da sein müssen, unter Wasser sein und normal atmen, kurz gesagt, vor ihren Gedanken Ruhe haben. Aber das gelang ihr nie. Mit den Frauen in der Lesbenszene war sie nie zufrieden – wenn sie mit der Absicht kam, eine abzuschleppen, gab es auf den ersten Blick keine, mit der sie es zumindest versuchen konnte, ihren – angeblich so gewöhnlichen – Wunsch nach Entlastung der Körperlichkeit zu erfüllen. Es gab immer so viele Gedanken, so viele Informationen, so viele störende Eigenschaften; einige von ihnen waren ihre Ex-Freundinnen und daher per definitionem sexuell uninteressant, dann gab es hier welche, die ihr die Liebhaberin oder Partnerin verführt hatten (zweifellos eine überflüssige Sorte), solche, die sie kurzzeitig angenehm, aber leider fatal unattraktiv fand, es gab wiederum andere, die auf der Skala der Begehrens unerreichbar hoch standen und denen sie keine zusätzliche Aufmerksamkeit schenkte, es gab solche, die mit ihrer Klatschsucht und Angeberei alles verdarben, solche, die sich nach fünf Minuten als pathologische Lügnerinnen entpuppten, dann die Absolventinnen, die nicht so recht wussten, wohin mit ihrem kindlichen Leben, und wiederum andere, die ihren Eltern zu ähnlich waren, solche, die immer in einer Paarbeziehung auftraten, und andere, die zu grob, nicht lesbisch genug oder krankhaft antifeministisch waren … Als wäre es das Gleiche wie in der Grundschulklasse, wo sie erfolglos nach echten Freunden gesucht hatte. Denn die einen waren zu aggressiv, die anderen zu weich, manche Jungs verstanden nur vom Fußball was, manche Mädchen küssten noch die in der Schultasche versteckten Plastikpuppen, manche hatten Mundgeruch, die drei Süßen waren leider Pendler vom Lande, die Arztkinder waren zu eingebildet, die Sozialfälle taugten nichts oder waren zu verschlossen … Kurzum, »einfach nur Sex zu haben« erwies sich als ein unmögliches Projekt. Sie sollte mal darüber schreiben … vielleicht ein ausführliches Essay.
»Gefällt es dir?«
Anas Stimme lenkte sie, die zweifellos schon zu viel nachgedacht hatte, in eine angenehmere Richtung. Sie nickte, ohne die Augen zu öffnen.
»Soll ich weitermachen, Schatz? Nur, wenn du willst …«
Diesmal nickte sie nicht, sondern rutschte ein wenig herunter und ließ ...