Yoko Tawada: Schwager in Bordeaux

Pressestimmen


„Tawadas Roman bereitet eine große Freude, da er verwinkelt ist und spannend. Jedem Abschnitt, und es sind derer viele, ist ein Schriftzeichen vorangestellt. Auch viele schöne Sprachbilder sind zu entdecken – wie man dies von der Schriftstellerin gewohnt ist. "Vielleicht ist jedes Wort ein Musikinstrument", heißt es. Tawadas extrem pointiertes Denken und Schreiben ist immer wieder beeindruckend. Sie betreibt in ihren Büchern eine zärtliche, wohlmeinende Kulturanalyse. Eine, die dennoch Distanz schafft und uns über uns selbst wundern lässt.“ (Carsten Klook, DIE ZEIT-Online)


“Der Wunsch, Französisch zu lernen, ist Anlass einer Reise nach Bordeaux zum Schwager ihrer Freundin Renée. Und doch ist das Buch keine Reiseerzählung. Der Roman ist ein Sehnsuchts- und Erinnerungsbuch. Tawada nimmt Düfte, Gefühle, Situationen, Körperhaltungen genau wahr, sie bevorzugt Nahaufnahmen. Wurde jemals die zarte Haut am Ansatz der Wimpern so transparent beschrieben? Ein fragiler Text, schön.” (Stuttgarter Nachrichten, 12.11.08)


Einladung zu einer Hafenrundfahrt, die auch für nicht seetüchtige Lese- und Landratten geeignet ist: Die Route verläuft zwischen Bordeaux, Hamburg und Osaka, Hafenstädten, die zwar am Wasser, aber nicht am Meer liegen, und lädt zu einer nicht alltäglichen Lesereise ein.

 

Yoko Tawada „Schwager in Bordeaux“ ist kein ausgesprochener Lesbenroman, misst der Liebe zu Frauen aber auf andeutungsvolle Weise dennoch Relevanz bei. Anregend-lebendiger, kreativ-durchdringender Umgang mit dem Wort verleiht dem Begriff „Wortschatz“ die ihm innewohnende Bedeutung, bereichert das Lesen um ein zusätzliches Erlebnis.

 

Yoko Tawada wurde mit diversen Literaturpreisen ausgezeichnet – ausgezeichnet zu lesen ist auch ihr neuestes Werk!

 

(HAJO, Nr. 54/2009)

...„Schwager in Bordeaux“ ist ein merkwürdiger Roman. Er enthält viele Geschichten, die sich nicht zu einem großen Puzzle zusammensetzen, eher zu vielen Bildern, flüchtig und doch da. Da gibt es jenes merkwürdige Wesen Yuna, das sicher ein paar Merkmale der Autorin in sich trägt. Dann gibt es ihre Freundin Renée, die aber das Wort Freundin hasst, erst recht in der Kombination „Busenfreundin“. Und dann gibt es noch viele andere Namen, die man sich kaum alle merken kann. Sie tauchen auf und tauchen ab, erscheinen vielleicht noch einmal und lagern alle an der Strecke nach Bordeaux, wo jener artikellose Schwager des Titels wohnt.

 

 

Wie immer bei Tawada führen die Wörter ihr surreales Eigenleben, greifen in die Ereignisse ein, sie mache sogar satt oder auch hungrig – je nachdem. „Yuna war hungrig, wollte wieder an einer neuen Sprache knabbern. … Sie aß sogar Wörterbücher Seite für Seite auf, um Vokabeln zu lernen.“ Nun will Yuna an der französischen Sprache knabbern, vorher aber muss sie über Brüssel fahren, der Bahnbeamte erklärt ihr, das sei das Vernünftigste. „Brüssel war sowieso immer die bessere – wenn nicht die beste – Lösung. Man kann Brüssel nie widersprechen, denn Brüssel soll die Norm werden.“

 

Es ist ein sehr poetisches Geschichtenbuch, das Yoko Tawada geschrieben hat – und es ist auch ein Roman. Der besitzt übrigens eine merkwürdige Eigenschaft, nicht nur weil er viele fremde Schriftzeichen enthält, sondern auch weil seine Buchstaben auf einem dicken, öligen Papier liegen und die Seiten sehr stramm zusammenhalten,

 

Nach jedem Aufklappen ist das Buch wieder so neu wie seine Beobachtungen, in die man sich neu verlieben kann.                                                                  

 

(Ulla Steuernagel, Schwäbisches Tagblatt, Mittwoch, 20. Mai 2009)


Was für ein merkwürdiges, ja verrücktes Buch: des Merkens würdig und in seinen überraschenden Perspektiven verrückt. Freilich muss man keine Angst haben, dass nun literarisierte „Goldene Worte“ auf den Leser herabdonnern würden, nicht bei der Schriftstellerin Yoko Tawada, nicht bei diesem 1960 in Tokio geborenen und seit Jahren in Hamburg und Berlin lebenden Glücksfall der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

 

 

In diesem Roman genannten Zauberbuch, in dem nicht allzu viel passiert (Yuna erinnert sich in ihrem temporären neuen Domizil an Hamburger Bekanntschaften und Erlebnisse, am Schluss betritt sie dann das Hallenbad von Bordeaux), entwickelt sich alles mit nachdrücklicher Sanftheit durch Sprache und Sprachspiel.

 

 

Tawada betastet die Wörter, stattet sie mit Sinn aus, räumt Unsinn beiseite, macht sie wohnlich oder auch befremdlich, doch niemals papieren. „Yuna betrat die Badeanstalt von Bordeaux. Kaum hatte sie an das Wort Anstalt gedacht, schon roch es nach Heilung.“

 

Und gewiss ist es kein Zufall, dass die freundlich-rätselhafte Protagonistin, ehe sie aus dieser Geschichte hinausgeht (aber nicht aus unserem Gedächtnis), eine kurze Panikattacke bekommt: In der Umkleidekabine schien ihr kleines Wörterbuch gestohlen worden zu sein. Eine junge Französin gibt es Yuna dann jedoch zurück – und damit uns Lesern ein weiteres, ein letztes Sprachgeschenk: „Langenscheidt klingt wie eine Mischung zwischen Leidenschaft, Langeweile, Scheitern und Bescheidenheit.

 

(Marko Martin, Rheinischer Merkur, 26.02.2009 )


 

Welch seltsames kulturelles Zusammentreffen: Ausgerechnet von einem feinen Verlag in Tübingen, wo Friedrich Hölderlin nach einer fatalen Reise nach Bordeaux schließlich seinen Lebensrest verbrachte, kommt ein Buch einer in Hamburg und Berlin lebenden Japanerin, das eine gänzlich unfatale Bordeaux-Reise schildert. Wobei „schildern“ oder „beschreiben“ dem, was Yoko Tawada im Schwager in Bordeaux mit der Sprache anstellt, so wenig gerecht wird wie die Bezeichnung des Buches als Roman. Denn der Autorin dient der Rahmen – die japanische Studentin Yuna reist zwecks Urlaub und Französischlernen an die Gironde und erlebt dort ihren ersten Ferientag – nur als Anlass, in einer langen Reihe erlesener Miniaturen einen Kosmos von Sprachspielen und Wortmeditationen zu schaffen, der irgendwo zwischen oder neben Wittgenstein, Konkreter Poesie und Baudelaires Prosagedichten steht.

 

Die sanfte und lakonische Manier, in der Tawada Wörtern der deutschen Sprache neue und überraschende Bedeutungen und Klänge entlockt, zieht so nachhaltig in ihren Bann, dass der Leser bis zum Ende des Buches Handlung und die üblichen üblen Ingredienzen der meisten Prosa deutscher Autoren nicht vermisst.

 

Ein Rätsel bleibt: die Miniaturen sind mit japanischen Ideogrammen überschreiben, deren Bedeutung nicht erklärt wird. Da müsste wohl ein passendes Wörterbuch her, um Yoko Tawadas Wortwelt weiter zu erkunden. Kein Wunder, dass auch Yuna in Bordeaux nur einmal in Panik gerät: als ihr ihr Wörterbuch abhanden kommt.

 

(Ingo Anhenn, Interkultur Stuttgart, 06/09. Redaktion: Anja Krutinat)