K hatte traurige Ohren. Wenn ich ihm im italienischen Restaurant oder in der Badewanne gegenübersaß oder im Auto an seiner Seite, musste ich immer seine Ohren anschauen; sie waren wie offene im Regen nass gewordene Bücher. K fragte: "Wohin schaust du schon wieder? Du siehst mir nie in die Augen", und wartete auf meine Antwort. "Was ist bloß los mit dir. Als hättest du irgendein Geheimnis."
Als er das sagte, konnte ich nicht umhin, ihm mein Geheimnis zu erzählen. "Als ich in der Oberschule war, hat mich die Frau vom Kiosk einmal geküsst." K starrte mich erschrocken an, brachte sein Gesicht aber wieder unter Kontrolle und sagte drohend "Weiche nicht aus. Ich hatte davon geredet, dass du mir nie in die Augen schaust." …
Das chinesische Schriftzeichen für Körper setzt sich zusammen aus den Zeichen für 'Mensch' und 'Buch'. Heißt das, dass der Körper ein Buch ist, das so tut als wäre es ein Mensch? Wenn K mich berührte, wollte ich einfach nur weglaufen. Um dieses Bedürfnis zu unterdrücken, versuchte ich dann immer, mich an irgendetwas zu erinnern. Warum ich sein schön geformtes Kinn, seine Schultern, die wie die Gelenke von Flügeln aussahen, das neue Auto, das sich wie Seide anfühlte, einmal begehrte, das weiß ich nicht mehr.
Meine Erinnerung ist zerrissen wie ein Stück Papier. Oder habe ich einen Körper begehrt, der dem meinen ganz gleich war? Ein Buch, das so tut, als ob es ein Mensch wäre? Ein Buch, das nur wenn jemand in ihm blättert, in der Welt ist? "Warum sagst du nicht klar und deutlich, wenn du mich nicht mehr magst“, flüsterte K und sah dabei aus wie ein Buchbinder, kurz vor dem Auslieferungstermin…
Eva lachte, als ich einmal sagte, "Ich sollte auch einen organgefarbenen Lippenstift benutzen. Dann würde ich vielleicht genauso viel Spaß am Plaudern finden wie du" – Sie lachte, rieb mit dem Finger ein wenig Orange von ihren Lippen und strich es auf meine. Damals besuchte mich Evas Finger zum dritten Mal.
© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke