Neulich rief mich eine Freundin aus Amerika an und fragte mich, warum ich ihr Email nicht beantworte. Ich erzählte ihr vom Absturz meines Computerprogramms. Dann fragte ich sie, was in ihrem Email stand. Sie antwortete: „Da stand, daß dein Fax nicht funktioniert! Ich wollte dir ein Fax schicken, aber das ging nicht!" Ich erzählte ihr, wie mein ehemaliges Fax kaputtging, ich zwar ein neues hatte, mit dem aber nicht umgehen konnte. Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, fiel mir erst die Frage ein: Was stand aber in ihrem Fax?
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Whitney erzählte, sie habe gerade ein Email von Aki bekommen. Es sei aber leider unlesbar, man könne nur die ersten zwei Wörter "Liebe Whitney" lesen. "Soll ich ihr ein Email schicken und fragen, was sie dir geschrieben hat?" fragte ich sie. Es gibt ein japanisches Kinderlied, das etwa so geht: Eine schwarze Ziege bekommt einen Brief von einer weißen Ziege und frißt ihn ungelesen auf. Dann bereut sie es aber und schreibt der weißen Ziege einen Brief und fragt, was in dem ersten Brief stand. Die weiße Ziege frißt diesen Brief ungelesen auf. Auch sie bereut es später und schreibt zurück, um zu erfahren, was in dem Brief stand, und so geht es immer weiter.
Kann eine Sprache einen Ozean überfliegen? Ich bekam manchmal Emails mit Leerstellen. Eine Freundin aus Hamburg schrieb mir, daß die deutschen Umlaute auf dem Weg nach Amerika oft in den Atlantik fallen und darin verschwinden. Japanische Schriftzeichen hingegen fallen in den Pazifik und kommen auch nicht an. Die Ozeane sind wahrscheinlich schon mit Umlauten und Ideogrammen überfüllt. Was wohl die 'ocean engineers' von MIT mit den ganzen Buchstaben machen würden? Ob Walfische Umlaute fressen?
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Menschen kommunizieren ständig miteinander und tauschen Informationen aus. Bei den Wörtern "Kommunikation" und "Information" muß ich immer an ein Milchprodukt denken, das ich einmal im "Starmarket" gesehen habe. Dieses Produkt hieß: "Ich kann nicht glauben, daß es keine Butter ist". Das Produkt selbst hatte gar nichts mit Butter zu tun, es sollte nur die positive Erinnerung aktiviert werden, die an dem Wort "Butter" haftete.
Warum aber sollte ich mir die Butter vom Brot nehmen lassen? Butter sollte 'ungesund' sein, aber das Wort 'ungesund' wird immer häufiger für eine moderne Hexenjagd benutzt. Sie sagen "Fett" und meinen damit den Teufel. Mit den "Kalorien" sind vielleicht die Heiden gemeint. Schmeckt eine Kommunikation ohne Zucker? Schmeckt eine Information ohne Fett? Der Geschmackssinn ist intelligent. Er läßt sich nicht täuschen, sofern er noch nicht zerstört ist.
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Ich verließ den Computerraum und traf auf dem Flur Seto, die gerade aus ihrem Büro kam. In ihren Händen rauschten immer Papiere. Ihre Schritte aber hörte man kaum. Sie fragte mich, warum der Bräutigam, der in einer meiner Erzählungen vorkomme, ein Hund sei. Seto hatte die sympathische Angewohnheit, auf dem Flur und in der Damentoilette immer ein Gespräch über Literatur zu führen. Hinter Setos Rücken sah ich die weit geöffnete Tür des Raumes Nr. 311. Französische Lautfragmente sprangen aus dem Raum heraus, die heiter, spontan und reizvoll klangen. Sie drangen durch das Netz aus Setos Stimme und erreichten mich, ohne daß ich sie verstand.
Plötzlich konnte ich Setos Englisch nicht mehr verstehen. Englische und französische Wörter vermischten sich, wirbelten in der Luft und lösten sich vom Ablauf der Klanggesten, die Bedeutungen zu erzeugen schienen. Eine Wolke aus fremden Lauten entstand und wuchs in meine Ohren hinein, der Gehörsinn kam über den Materialüberschuß der Sprachen, rutschte darüber hinweg. Mir fiel das Wort "überhören" ein, ich hörte nichts mehr, ich überhörte alles. Aber was ist mit dem Wort "overhear"? Dieses Wort bedeutet doch, daß man zufällig etwas mitbekommt. Also hört man doch etwas, wenn man überhört? Es ist seltsam, daß Zwillinge wie "überhören" und "overhear" fast gegensätzliche Bedeutungen haben können, nur weil sie an unterschiedlichen Orten aufgewachsen sin
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Einmal sagte der in Japan lebende amerikanische Autor Ivan Levi zu mir, die japanische Gesellschaft sei Nicht-Japanern verschlossen, auch die japanische Kultur sei nicht offen. Das einzig Offene in Japan sei die Sprache, jeder dürfe sie schreiben. Seine Worte waren ein heftiger Tabu-Bruch für die meisten Japaner, die gerade durch die Unantastbarkeit der heiligen Muttersprache ihre nationale Identität sichern wollen.
In Deutschland würden die meisten Menschen nicht behaupten, daß die deutsche Sprache von anderen nicht angetastet werden darf. Aber indirekt geben sie einem immer wieder zu verstehen, daß die Sprache ein Besitztum sein muß. Sie sagen zum Beispiel, daß man eine Fremdsprache nie so gut beherrschen könne wie die Muttersprache. Man bemerkt sofort, daß das Wichtigste für sie die Beherrschung ist. Meiner Meinung nach ist es überflüssig, eine Sprache zu beherrschen. Entweder hat man eine Beziehung zu ihr oder man hat keine.
Andere sagen, nur in der Muttersprache könne man authentisch seine Gefühle ausdrücken, in einer Fremdsprache lüge man unwillkürlich. Sie fühlen sich bei ihrer Suche nach dem authentischen Gefühl gestört, wenn sie ihre Sprache auf fremden Zungen sehen.
Es gibt auch Menschen, die behaupten, in einer Fremdsprache ist die Kindheit abwesend.
Aber ich fand nirgendwo so viel Kindheit wie in der deutschen Sprache. Schmatzen, schnaufen, schluchzen, schlürfen: Viele deutsche Wörter klingen wie Onomatopoesie. Für die Neugeborenen klingt vielleicht jede Sprache so wie Deutsch für mich.
© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke