Da oben lief er, Richtung ebenes Land. Trotz der Geschwindigkeit ist er leicht zu erkennen. Bis zu seinem Versteck rennt er und rennt, als ob er der Verfolgte wäre und seine hastenden Beine Angst hätten, doch Angst wovor? Er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, woher der Befehl gekommen war, Abel Caballero zu liquidieren. Natürlich nicht! So handhabt man eben bestimmte Angelegenheiten.
Kaum war er in seiner Berghütte, wohin er sich nach der Jagd zurückzog, angekommen, hatte er den auf ein sorgfältig gefaltetes Papier geschriebenen Auftrag, der in einem Umschlag steckte, erhalten. Drei Schreibmaschinenzeilen mit doppeltem Abstand enthielten den unmissverständlichen Befehl, der durch eine schöne Summe, die der Sendung beilag, unterstrichen wurde. Denn er war ein guter Schütze, und außerdem wäre es sozusagen ein humanitärer Schuss, ein freundschaftlicher Dienst, fast ein Liebesbeweis, keineswegs Töten um des Tötens willen.
Abel Caballero hatte aus reiner Dummheit nicht daran gedacht, dass auch er sich anstecken, dass auch er nach Überführung der Leprakranken nicht ins Dorf zurückkehren könnte. Niemand, der mit den Kranken Kontakt hatte, konnte ins Dorf zurück. Absolut niemand. Deshalb ließ der Jäger Mauro el Mocho es sich nicht zweimal sagen, sondern behielt das Geld und war doppelt stolz, denn jetzt war er der Held, wenn auch nur im Geheimen. Niemand mehr würde bei den Wetten auf den Dorffesten an seiner Treffsicherheit zweifeln.
Niemand wird mich übertrumpfen, nicht einmal der Leibhaftige, so wahr ich Mauro el Mocho heiße. Ich bin einfach der Beste.
Und am vereinbarten Tag suchte er ein gutes Versteck. Hoch oben auf dem Felskessel, in dessen Innerem die Kranken leben sollten, erschien hinter ein paar Büschen versteckt der Lauf seines Gewehrs. Er wartete geduldig und seiner Sache sicher, obwohl er vor Aufregung kaum Luft bekam – man tötet ja nicht alle Tage –, denn aus dieser kurzen Entfernung konnte jeder treffen, egal ob betrunken, blind oder nur zerstreut.
Das Schiff erschien mit den vielen Kranken an Bord; es trug zu Ehren der ersten Braut des Eigentümers den Namen Esperanza. Welch ironischer Zufall! Die Aussätzigen gingen an Land. Der Morgen war strahlend hell, weshalb der Schuss sein Ziel nicht verfehlen konnte. Mauro el Mocho hatte keinerlei Gewissensbisse – er erwies der Inselgesellschaft ja nur einen kleinen Dienst, und die Bewohner von El Hierro, der Eiseninsel, galten schon als etwas merkwürdig, auch wenn sie selbst nicht aus Eisen waren.
Nach allen Regeln der Kunst – besser kann man es nicht ausdrücken – betätigte er den Hahn und zielte auf Abel Caballeros Mitte. Diese genau auf den Magen gerichtete Ladung hätte nicht einmal ein Pferd überstanden. Finger am Hahn und Geld in der Tasche. Ein donnernder Schuss mit Knall und Schall und Widerhall. Sonst nichts.
© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke