Nostalgisches Licht flirrt heute durch den Garten, schräg und gelb. Es blendet, umschließt mich. Stille, außer den heiseren Schreien der Krähen, die im Gras nach Würmern picken, dahinstelzen. Nassglänzende Föhrennadelklumpen wogen geschmeidig auf und ab. Der Wind schlägt böig gegen meine Haut. Ich habe mir frei genommen. Der Wochentag zieht die Menschen von diesem Randbezirk der Stadt ab. So komme ich mir vor, wie in einem vergangenen Jahrhundert.
Gestern Abend, nach dem Lieben, hat Kaye uns ein Bad eingelassen und Kerzen auf die Ablage gestellt. Die Flammen spiegelten sich in den Kacheln und in den Armaturen, im Porzellan der Wanne. Ihr Schimmer überzog die Wangen ihres Gesichtes, die Wölbungen ihrer Schultern. Die beiden geschwungenen Faltenlinien, die sich zu ihren Mundwinkeln zogen, wirkten mehr denn je melancholisch.
Ich fühlte mich, als wäre ich nicht von dieser Welt. In meinem Körper Schwere und Langsamkeit, Erschöpfung. In meiner Seele etwas wie Liebe. Ich schien nun endlich über sie Bescheid zu wissen, sie, Kaye, als Ganzes in mich aufnehmen zu können. Sogar mein Raumgefühl war von ihr beeinflusst, richtete sich nach ihrer Gegenwart und auch wenn sie mich gerade nicht berührte, war sie an mir. Ich konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft vermeinte ich, sie unvoreingenommen, ohne ständig auf der Hut zu sein, zu lieben.
Dieses Gefühl hatte sich nicht allmählich, sondern ruckartig und anlassgebunden eingestellt, als ich mir ihre Kunstwerke ansah, in denen ich sie besser als sonst zu spüren, ja zu erkennen glaubte. Sie hatte Kataloge ihrer Skulpturen mitgebracht. Ich betrachtete diese und musste zugeben, dass sie Spiegel meiner eigenen Leidenschaften waren. Ihre Skulpturen sind aus Stahl, in Plastik oder in Glas gegossen, aus Holz geschnitzt. Sie können klein sein, wie Nippes, oder lebensgroß. Es sind immer wieder Abbildungen ihrer selbst, wie sie ihrer Lust frönt, gemeinsam mit einer anderen Frau oder allein, autoerotisch. Die Paarungen und Szenerien sind lebensecht bis ins Detail.
Kaye hat sie bewusst kitschig, grell und plakativ inszeniert. Auf aufdringliche Weise zeigen sie Sexuelles, und an deftigen Farben hat Kaye nicht gespart. Hie und da ragen mir nur Teile ihres Körpers entgegen. Ihr oberhalb des Nabels abgeschnittener Unterleib, aus Kunstharz, sich in einem ekstatischen Tanz drehend, einen Schwanz umgeschnallt, den eine, beim Gelenk abgehackte Frauenhand streichelt. Ihr Po, wenn sie sich mit dem Bauch an einen dicken Frauenhintern presst, in den sie wie wild hineinzuficken scheint. Ihre Brüste aus rosa Plastik, zwischen denen ein Messer liegt.
Kaye mit ihren verschiedenen Liebhaberinnen, jeder Frau ist eine Stellung aus dem Kamasutra gewidmet. Bis zu den Fältchen unter den Augen sind diese Figuren genaues Abbild der Wirklichkeit. Was mögen all diese Frauen empfinden, wenn sie ihr Konterfei in solcher Weise der Öffentlichkeit preisgegeben wieder sehen. Zu einer Skulptur geworden, die mit Absicht die Banalität des Obszönen marktschreierisch betont? Sie müssen derselben Faszination wie ich erlegen sein.
Die Vielfalt der Posen, der Farben und Materialien zeigt mir eine Kaye, die außer Rand und Band geraten ist und der nichts heilig ist. Sie spielt mit Geschlechtsteilen wie mit Innereien, mit Frauen wie mit Materialien. Auch lebt sie Männerphantasien aus, die sie ungeniert eins zu eins reproduziert. Sie vögelt Frauen in Strapsen und Mieder, drängt sich in Ärsche, die in Latex gehüllt sind. Diese Inszenierungen strotzen vor Lebensbejahung und Hedonismus. Sie tappt mitten ins wollüstige Leben hinein, wenn sie ihre Hände in Fischkörpern badet, die sie auf einem Frauentorso drapiert hat oder die Brüste tief in die glitschigen Leiber von Muränen taucht.
Grausig, Entsetzen erregend ist dieser Anblick. Aber Kayes exzessive Liebe für den Akt selbst trifft meinen Lebensnerv, bringt meine Genusssucht auf Touren. Während ich einen Katalog nach dem anderen langsam durchblättere, ohne ein Wort zu sagen, wartet sie ängstlich auf meine Reaktion, von vorneherein überzeugt, dass ich all dies abstoßend finde und auf Distanz gehe. Stattdessen bin ich dankbar dafür, dass eine Frau solche Phantasien öffentlich macht, als Kunst auf den Markt bringt. Ich fühle mich heimelig und geborgen bei ihr und spreche mit Begeisterung über die Abbildungen. Eine innige Stimmung entsteht zwischen uns.
Sie dunkelt den Raum ab und schlingt Stricke um meine Arme und um meine Beine. Sie verschwindet und lässt mich lange warten, dann kommt sie wie ein Schatten wieder, leise, unaufdringlich rollt sie sich an mich heran. Ein Pelztier. Sie schneidet mit einem Messer die Stricke durch, die Klinge drückt langsam meine Brustwarzen nieder.
Dies hat nichts Fernes, Hartes, launisch Zerstörerisches. Diese Hände, die ich inzwischen so gut kenne, in ihren sanften Bewegungen an meinem Körper sind auch mit dem Messer zärtlich, hingegeben, auch wenn sie nun immer mehr in Fahrt kommt, weil sie meine Brust knetet und sich immer mehr auf das sich nur allzu willig hingebende Fleisch einlässt. Erregt durch die Nähe zu dem Objekt, dem Wärzchen, das sich hilflos zusammendrücken lässt. Mir kommen Erinnerungen an Hände, die eine Krake aus dem Wasser ziehen, die sich mit ihren schlüpfrigen Tentakeln windet und ringelt, an eine milde Stimme, die sagt: „Sie hat sich unter dem Felsen verkrochen. Ich habe sie trotzdem erwischt.“
© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke