Phoebe Müller: Die Beute

Leseprobe


Die Beute

Der Geruch nach Erde und feuchtem Laub. Sonnenlicht, durch die Zweige gefiltert. Es krachte und raschelte unter jedem ihrer Schritte. Vögel zwitscherten in den Baumkronen. Geruch, Geräusch, Geschmack, Geschlecht. Sie war nass am ganzen Körper. Eine drückende Schwüle stieg vom feuchten Waldboden auf und verwandelte das Dunkel in einen subtropischen Dschungel. Er hatte seine Hand von hinten unter ihren Rock geschoben und dirigierte sie mit den Fingern in ihrem Geschlecht sicher durch Dickicht und Gestrüpp. Ab und zu kratzte ein Zweig über ihre nackten Beine, ein zarter blutiger Striemen zog sich bereits über ihre Wade. Ihr Herz hämmerte gegen die Rippen wie ein eingesperrtes Tier. Sie spürte alles intensiver als je. Den Wald, die Luft auf ihrer Haut, seine Nähe, die Anwesenheit unzähliger Lebewesen. Ihre Sinne waren überwach wie die eines Tieres. Ein Wild, das mit zitternden Flanken im Zwielicht steht und wittert, ob der Jäger naht.

 

Der Jäger war direkt hinter ihr, seine Finger trieben sie stetig voran.

 

„Dort drüben am Baum“, sagte er und zählte auf, was er alles mit ihr tun werde. „Willst du das?“, fragte er. Sie stöhnte, seufzte und bettelte als Antwort. „Sag es mir!“, forderte er. „Ich will es hören.“ Gefügig antwortete sie, während sie die harte Rinde des Baumes an ihrem Rücken fühlte.

 

Einfach nur noch Tier sein, das war es, was sie wollte. Diese überwältigende, verwirrende Lust, die er in ihr weckte, bis zur Neige genießen.

 

Das Vokabular der Jagd drängte sich ihr auf. Worte wie erjagen, erbeuten, erlegen, Wildbret, Beutetier, ergeben, hingeben. Sie wollte gejagt und zur Strecke gebracht werden.

 

Der Schweiß drang ihr in Strömen aus den Poren wie verflüssigte Begierde. Das Haar klebte ihr feucht im Gesicht, die Kleider am Körper. Ihr ganzer Körper strahlte Hitze aus.

 

Bereits während der Autofahrt hatte er sie, eine Hand zwischen ihren Schenkeln, mehrfach kommen lassen, während er mit der anderen sicher das Lenkrad hielt. Er wirkte ruhig und abgebrüht, hatte die Technik raus, befriedigte sie mit einem Geschick, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte als die Laute der Lust. Sie rutschte auf dem Beifahrersitz hin und her und biss sich auf die Lippen. „Sei laut“, sagte er ruhig, „ich will hören, wie du kommst.“ Am Ende schrie sie. Danach leckte sie jeden einzelnen seiner Finger ab. Das Ritual hatte begonnen.

 

 *

 

Niemals zuvor hatte sie eine Vorliebe für ausgefallene Orte gehabt, hatte Geschichten von Kopulationen an Stränden, in Aufzügen, Autos oder öffentlichen Toiletten immer als klischeehaft und peinlich abgetan. Nun trieb sie der Jäger, wie sie ihn heimlich nannte, an jeden noch so abwegigen Ort und sie folgte ihm willig nach. Besonders das Treiben unter freiem Himmel hatte es ihr angetan. Der Wald mit seinen üppigen Gerüchen, Bachufer, Gärten inmitten der Stadt. Orte, wo der zivilisatorische Ballast überflüssig wurde, wo sie Urlaub vom Ego machen konnte. Denn immer waren da seine Hände, seine Stimme, seine Ruhe, die alles so einfach machten.

 

Während des Vorspiels, dem intellektuellen Geplänkel, der gepflegten Unterhaltung in Cafés oder Restaurants, war sie ganz die Weltgewandte, betrat erhobenen Hauptes den Raum, sich ihres Körpers und ihres Geistes wohl bewusst. Sie unterhielt sich gern mit ihm. Er war humorvoll und amüsant. Sie war ironisch und bissig. Ebenbürtige Partner waren sie, was die Sache besonders spannend machte. Dann genügte ein Wort, ein Blick, eine Geste, eine kurze Berührung, um das Gleichgewicht zum Kippen zu bringen.

 

Er übernahm die Führung und sie folgte willig nach, wohin auch immer.

 

 *

 

Sie hatte Visionen von gejagten Tieren. Von nassem Fell, fliehenden Hufen, dampfenden Muskeln im dunklen Wald. Eine wilde Lust an der Niederlage hatte sie ergriffen, besonders da diese freiwillig war. Sie kniete, sie kauerte, bückte sich, krümmte sich. Seine Hände fest an ihren Hüften, seine Zähne in ihrer Schulter, seine harten Stöße tief in ihr. Grob, bestimmt, tröstlich. Sie keuchte, wimmerte, wand sich. Biss sich ins Handgelenk, wenn die Lust zu groß wurde. Jeden Tropfen seiner Lust nahm sie in sich auf, schmeckte ihn, spürte sein Zucken, suhlte sich auf dem feuchten Waldboden. Am Ende war nicht mehr zu erkennen, wer Jäger und wer Beute war. Es schien, als seien die Vögel verstummt von ihren Schreien. Der Wald hielt den Atem an, bis es vorbei war.

 

Nach dem Genuss zog er sich stets rasch zurück. Es gab keine Küsse, keine Liebesworte, keine Zärtlichkeiten. Die Jagd war zu Ende. Es fiel ihr schwer, sich wieder an die Begrenzungen des Körpers zu gewöhnen. Doch vielleicht musste es so sein.

 

Ihre Knie und Schenkel waren dunkel von Erde, sie hatte Blätter im Haar. Kratzer und Bisse auf dem Rücken, die ihr in den kommenden Wochen Gesellschaft leisten würden. Wochen, die im Nichts hingen, denn es gab keine Briefe, keine Telefonate, keine Pläne oder Versprechungen.

 

Alles war gut so wie es war, hatte er gemeint, alles andere sei überflüssig. Anfangs hatte sie noch gegen ihn gekämpft, ihn mit Argumenten und gutem Menschenverstand attackiert, dann hatte sie sich ergeben. Vielleicht würde ein Verlangen wie dieses im Alltag ohnehin nur zerrieben werden, hatte sie sich getröstet. Sie war gespannt, wohin sie beide noch treiben würden und ließ es einfach geschehen. Da es Nächte gegeben hatte, in denen sie friedvoll in seinen Armen gelegen hatte, als gäbe es kein Morgen, glaubte sie ihm.

 

Manchmal hatte sie Angst, ihn im Getriebe der Welt zu verlieren. Sorge, dass die Magie verblassen könnte. Doch sie trafen sich immer wieder. In Zeitlücken, in Träumen, in Lebensnischen. Sie wussten wenig voneinander, umso vertrauter waren die Körper. Die Geschlechter passten so gut zueinander, als seien sie von Anbeginn der Zeit füreinander geschaffen. Es endete nie mit dem Orgasmus, das Verlangen ging darüber hinaus. Ein Hunger nach etwas, das jenseits der Körpers war und für das sie keinen Namen fand. Genauso wenig wie für ihn. Geliebter, Freund, Partner, Affäre, Beziehung, all diese Bezeichnungen waren unpassend.

 

Jäger traf es noch am besten oder einfach Mann. Er war ihr Mann in einem ganz simplen, animalischen Sinne, so wie sie Frau war. Manchmal genügte ein Händedruck und alles war klar. Ganze Gedankengebäude zerfielen vor ihren Augen. Was sie hatten, waren diese Stunden, die auf das Maß von Sekunden schrumpften, Augenblicke, die zu Ewigkeiten wurden.

 

 

Falls der Jäger berührt war, so zeigte er es nicht. Der Abschied verlor sich im Wortlosen, höchstens ein kurzes Kopf an Kopf, ein letztes Beschnuppern. Das Beutetier in ihr sträubte sich noch und wusste nicht recht, was anfangen mit der wieder gewonnenen Freiheit. Mit schwachen Knien stieg sie aus dem Auto, blinzelte in die Sonne und versuchte, sich wieder zurechtzufinden im Lärm und Getriebe der Stadt. Sie spürte noch seine Gegenwart, während sie sich entfernte und Sehnsucht sich in den Eingeweiden breit machte. Ein Teil tief in ihr jedoch war nichts als reine Wonne.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke