Jette Miller: Lover

Leseprobe


Die Tanzfläche des Clubs war in rotes Licht getaucht. Um mich herum lächelnde Lippen, geschlossene Augen, schwebende Gesichter.

 

Das Wasser der Spree floss sommerlich an uns vorbei. In der Ferne ein paar Mädchen mit Hula-Hoops, die im Dunkeln leuchteten. Mein Körper bog sich zwischen den elektronischen Klängen und fühlte sich gut an, so schwitzend, heiß, elegant. Sexy Beats hingen schwer in dem improvisierten Raum, der zum Ufer hin keine Wände hatte. Hipster, Neohippies, Durchreisende in feiernder Harmonie mit Berliner Partyurgesteinen; high and low; selbst Tom tanzte, unglaublich.

 

Jemand reichte mir ein Glas, in dem sich Champagner mit Cassis vermischte. Die Blasen des Kir breiteten sich in meinen Blutgefäßen aus, und eine Hitze sank in meine Lenden, die alles im Raum verschwinden ließ.

 

Von dem Kir und dem Getanze musste ich plötzlich dringend pinkeln. Wo die Toiletten waren, wusste niemand von uns.

 

Ich lief los, fühlte mich leicht, verschwitzt, eine Brise zog dicht an meinem nassen T-Shirt vorbei. Die Jeans pressten sich angenehm an meine Schenkel. Es fühlte sich gut an. Ich lief in das Abrisshaus, und es roch nach Urin. Da standen ein paar Leute, die sich gegenseitig Pillen auf die Zunge legten.

 

Ich lief weiter nach oben in der Hoffnung, sauberere und wohlriechendere Toiletten zu finden.

 

Ich schlenderte durch einen kleinen düsteren Raum, an einem Sofa vorbei, auf dem jemand zu schlafen schien. Ich schaute mich in dem eigenartigen Zimmer um, stieß gegen das Sofa. Der Typ machte die Augen auf. Er schaute mich unter seinen dunklen Locken hindurch mit einem hübschen, verschlafenen Gesicht sehnsüchtig an.

 

»Come«, flüsterte er.

 

Ich setzte mich zu ihm, ohne nachzudenken. Er fing an, mich langsam zu streicheln. Seine Hände waren überall. Als hätten wir uns in genau diesem Moment ineinander verliebt, so fühlten seine warmen Hände sich an. Ich küsste ihn, und irgendetwas entknotete sich blitzschnell in mir. Allein seine sprachlose Lust entspannte mich. Ich fühlte, wie ich feucht wurde und wie meine Blase zu brennen begann. Ich stand auf und ging in eine der offenen Toiletten. Ich kniete vor ihm und pinkelte. Er schaute mir zu und öffnete seine Hose. Er blickte mich ganz verschlafen, lächelnd an und fuhr seidig mit seiner Hand seinen Schwanz entlang. Er war breit und glatt, wie eine pralle Frucht. Ich ging auf ihn zu und stellte mich jetzt direkt vor ihn. Ich streifte meine Jeans über meine Hüften und zog ein Bein heraus, während er geschickt ein transparentes, zartes Plastik über seine Erregung spannte, die damit aussah wie eine lüsterne Skulptur.

 

Seine Hände umschlangen entschlossen meine nackte Hüfte, sobald er sie zu fassen bekam, und hielten sie fest umklammert. Unsere Blicke trafen sich auf seinem Schwanz, der vor mir in die Höhe stand. Er schob meine Unterhose zur Seite, ließ seinen Finger in mich gleiten, als wollte er die Feuchtigkeit meines Inneren testen, schleckte seine Finger ab und setzte mich fordernd auf seinen Ständer. Er schaute mir in die Augen, bevor er seine schloss, und begann zu genießen.

 

Sein Blick war ein sanfter Befehl gewesen, hatte meinen Körper in sein Verlangen gehüllt. Ich begann, mich auf ihm zu bewegen, als wäre ich jemand anderes. Sein Schaft dehnte sich in mir aus und pochte in meinem Unterleib. Er lächelte unverschämt und schlug mir mit seinen schmutzigen Händen auf den Hintern, als wollte er mich anspornen, weiter zu gehen; tiefer. Ich bewegte mich zuerst fremdelnd, dann fordernder auf ihm auf und ab. Seine Lenden wurden heiß unter meinen Händen. Ich merkte, wie ich langsam verschwand.

 

Er packte meinen Hintern und hielt ihn fest in seinem Griff. Seine Berührungen gruben sich immer tiefer in meine Muskeln. Dann packte er mein offenes Haar und zog mich von ihm herunter auf die Seite und begann mich zu stoßen, so tief, dass es auf eine angenehme Art schmerzte. Sein High dehnte sich in meinem ganzen Körper aus. Sein fremdes Geschlecht, die Gefahr, die von ihm ausging, machten mich an. Ich hatte Angst, zu feucht zu werden. Wollte cool bleiben, aber mein Körper streckte sich ihm entgegen. Ich flüsterte, dass er alles mit mir machen könne, was er wolle. Er verstand meine Sprache wohl nicht, aber meinen Körper, und biss mir in den Nacken. Wie konnte er wissen, dass mich das komplett verrückt machen würde? Ich kam, aber er schien nicht viel um sich herum wahrzunehmen.

 

Er stieß immer weiter, hielt meine Haare in einen Zopf verdreht fest. Immer in lässiger, fast zufälliger Kontrolle über meinen Körper. Ich wollte nicht, dass er aufhörte. Er raunte seinen betrunkenen Atem in mein Ohr. Was er sagte, war egal. Ich kam wieder und wieder, und sein Schwanz breitete sich immer weiter glatt aus und wurde schwer in mir.

 

Plötzlich wurde er nervös, schneller, leckte an meinem Nacken, als wäre er mit Salz bestrichen, und stieß auf mich ein, als wollte er mich zu einem Teil seines Körpers machen. Es spritzte so heiß in mich hinein, dass ich zugleich schreien und verstummen wollte. Was davon ich tat, weiß ich nicht mehr. Seine Hand ließ mich langsam los, und er zog seinen Schwanz aus mir und in seine Hand zurück, wo er das Kondom abstreifte. Sein heißer Samen rann an seiner Hand entlang und tropfte auf meinem Schenkel in meine Jeans. Seine Hand und sein pochendes Glied sahen in dem Licht unendlich schön aus. Ich stand auf und wischte die heiße Flüssigkeit in Zeitlupe von meinen Beinen.

 

Ich fand mein Spiegelbild in dem beschmierten, mit Stickern übersäten Spiegel wieder. Ich sah nach Jahren zum ersten Mal wieder wie ich selbst aus.

 

Mein ganzer Körper war klebrig und aufgewühlt. Ich wusch mich am Waschbecken so gut es ging mit eiskaltem Wasser. Mein Körper pochte lebendig. Meine Haut glühte, und ich spürte jeden Muskel meines Körpers gleichzeitig.

 

 *

 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hing der Traum noch lange im Raum. Ich räkelte mich genüsslich im Bett und wollte ihn noch so lange genießen, bis Tom aufwachte. Als er begann, sich zu bewegen, schlich ich mich aus dem Zimmer.

 

Auf dem Weg zum Bäcker kreisten meine Gedanken immer noch wie wild um die Szenen im Club. Vielleicht wünschte ich mir insgeheim eine Affäre.

 

Träumte man das, was man eigentlich wollte, sich aber nicht traute, oder das, was man phantasierte, weil man es nicht wirklich leben wollte?

 

Mir fiel auf, dass ich gar nicht wusste, wie ich zu meinen eigenen Phantasien stand.

 

Tom warf mir gerne vor, dass ich meine Bedürfnisse einfach nicht kannte. Ich hatte seine Vorwürfe natürlich immer weit von mir gewiesen. Aber er hatte vielleicht am Ende recht. Ich würde ab jetzt versuchen, mehr auf meine Bedürfnisse zu hören als auf meine Gedanken.

 

Ich legte meine Hand auf meinen Bauch. Das hatte mir mein Masseur mal empfohlen, weil er fand, dass ich mich mehr mit meiner Mitte verbinden sollte.

 

Also stand ich mit meiner Hand auf dem Bauch vorm Bäcker und verband mich mit meiner Mitte, um so hoffentlich meine Bedürfnisse aus mir, also direkt aus meiner Mitte, herauszukitzeln.

 

Eine Affäre würde frischen Wind in meine eingefrorene Beziehung bringen oder unser Vertrauen für immer schrotten.

 

Da meine Mitte an diesem Morgen keine eindeutigen Signale sendete, nahm ich die Hand vom Bauch, stellte mich in die Schlange und bekam Lust auf Mohnbrötchen.

 

Der Traum hatte sich so gut angefühlt, dass meine Wangen erröteten, sobald ich mir die Bilder ins Gedächtnis zurückrief. Meine Bedürfnisse schienen zumindest in meinem Unterbewusstsein erstaunlich klar. Ich träumte in letzter Zeit einfach die unglaublichsten Sachen.

 

Manchmal war ich als Freiheitskämpferin in Bergregionen exotischer Länder unterwegs. Dort folgte ich meiner politischen Überzeugung, auch wenn es den Tod bedeuten sollte. Manchmal war ich aber auch als Edelprostituierte mit wahnsinnig gutem Geschmack für Designerklamotten unterwegs, die sich ins Herz eines mächtigen Mannes vögelte, um ihn dann von ihren politischen Idealen zu überzeugen. In einem Traum war Obama noch Präsident und ich hatte ihm einen so guten Blowjob gegeben, dass er sich am nächsten Tag dazu inspiriert fühlte, den amerikanischen Finanzmarkt von einem Tag auf den anderen mit härtesten Gesetzen zu regulieren, woraufhin sich die internationalen Märkte anschließen mussten.

 

Das Glücksspiel hatte ein Ende, und in seinem Privatjet flogen wir in die Schweiz, und er räumte auch dort gewaltig auf. Danach hatten wir unglaublich guten Sex im Flugzeug, sodass die Schweizer keine andere Wahl hatten als das Bankgeheimnis ein für alle Mal zu lüften. Und zur Belohnung durfte ich mit Merkel auf einer Südseeinsel in der Hängematte löffeln. Der letzte Stopp auf meiner Reise.

 

Sie erklärte mir geduldig das Universum, ich fühlte mich in ihrer Umarmung unendlich aufgehoben. Es war eine sehr konkrete Umarmung.

 

Aber sie hatte dabei eine weiche und duftende Haut. Irgendwie ein aufregender Kontrast.

 

Vielleicht fand mein wirkliches, mein glamouröses Leben inzwischen einfach in meinen Träumen statt.

 

Ich kaufte drei Mohnbrötchen.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke