Der Dampf, der vom Grill der Kneipe „Zum Hahnenkampf“ aufstieg, roch nach Knoblauch, fettem Öl und noch brutzelndem Bratgut. Társila Vilaflor lief von Tisch zu Tisch; sie nahm die Bestellungen auf und kam kurz darauf aus der Küche zurück, um Schalen mit Soßen und Kartoffeln, Platten mit Fleischstücken und Fisch oder milchigem Käse zu verteilen. Zu dieser fortgeschrittenen Stunde malte das rötliche Licht feine Linien auf die Flaschenhälse und man konnte sogar die Nähte in den Servietten und die Scharten an den Messern erkennen. Heiligenbilder aus Kalendern hingen aufgereiht an den Wänden und bildeten sozusagen um die Kunden herum ein Oval, das die Zeit festhielt, in der die Kneipe „Zum Hahnenkampf“ noch der Ort war, an dem Kampfhähne zum Einsatz kamen.
Jetzt stellte Társila Vilaflor die Stühle, ohne dass jemand sie herbeipfiff, fordernd in die Hände klatschte oder nach ihr rief, ordentlich um die Tische herum, steckte einzelne Nelken in die Vasen oder eine Handvoll Servietten, die sich wie falsche Sträuße öffneten. Sie hörte Schritte, denen sie ruhig entgegensah.
Genau wie immer nahm Juan Valeriano Samburgo am selben Tisch und auf demselben Stuhl Platz, wo er jeden Nachmittag saß. Hinter ihm betrachtete ihn starr eine russische Ikone, verewigt auf einem himmelblauen Kalenderblatt. Társila Vilaflor unterbrach das Rücken der Stühle. Sie wartete, bis Juan Valeriano es sich bequem gemacht hatte. Das merkte sie daran, dass seine Hände nun gefaltet auf dem Tisch lagen; das erkannte sie an seinen Augen, die Ausschau hielten, wie der Hund, der nach seinem Herrn sucht. Tarsila Vilaflor verstand wie von selbst diese Sprache, die aus Resten erstickter Gebärden und kaum merklichem Heben der Augenbrauen bestand, und eilte herbei.
– Wie immer?
Wie immer erwiderte Juan Valeriano Samburgo nichts.
Wenig später warteten eine Flasche und ein frisch gespültes Glas, die neben Juan Valeriano Samburgos gefalteten Händen standen, darauf, dass der Wein von der Flasche ins Glas und vom Glas in die Kehle floss. Im Schutz ihres marmornen Tresens, der von einer stillen, unbewegten Prozession von Heiligen, Jungfrauen und Kindern an den gekalkten Wänden eingerahmt war, beobachtete Társila Vilaflor, wie Juan Valeriano Samburgo sich eifrig bemühte, die Flotationslinie in der Flasche immer mehr zu senken.
Während sie ihn betrachtete, hatte sie das Bedürfnis, sich ihm zu nähern; sie wollte die Wärme dieses Mannes auf der Haut spüren. Dieser Drang war nichts Neues: Er nistete in ihrem Innern, um sich bei jedem Treffen mit Juan Valeriano Samburgo in der Kneipe „Zum Hahnenkampf“ bemerkbar zu machen. Er dort hinten, ruhig vor sich hin trinkend; sie, den Blick auf ihn gerichtet, angezogen von einem Licht, das ihr nicht gehörte. Und das Verlangen, das jeden Nachmittag wuchs.
Társila Vilaflor beherrschte ihre sehnsüchtigen Augen, die Juan Valeriano Samburgo suchten, der verschanzt hinter dem Tisch saß. Und während sie ihm ab und zu verstohlene Blicke zuwarf und so tat, als ob sie das Naschwerk in der Auslage des Tresens zurechtrückte, bemühte sie sich, die Geschichte des Mannes zu rekonstruieren, der seine ganze Aufmerksamkeit ausschließlich der Flüssigkeit in der Flasche widmete.
Juan Valeriano Samburgo war Arzt. Er landete auf Isla Nacaria an einem Morgen, als die Sonne von den Hügeln wie von konkaven Spiegeln gebrochen wurde. Társila Vilaflor wusste das, weil Juan Valeriano Samburgo, wenn er genug vom Branntwein hatte, selbst davon erzählte und seine Vergangenheit offenbarte. Neben dem Einrenken von Knochen, der Behandlung zuweilen auftretender Diphtheriefälle, einigen Blinddarmoperationen und dem Verabreichen von Medizin war er begeisterter Anhänger des Hahnenkampfes.
Wegen eines Sporenträgers, den er für unschlagbar hielt, verschuldete er sich bis in den Ruin. Er musste alles verkaufen, was er besaß und zog fort. Er arbeitete als Kellner auf einem Überseedampfer. Doch weil ihn das Fieber plagte, wurde er nach einiger Zeit entlassen. Er kehrte nach Isla Nacaria zurück und konnte sich über Wasser halten, weil er heimlich Abtreibungen vornahm. Durch einen zweifelhaften Unfall wurde das Ganze aufgedeckt und er mit Gefängnis bestraft. Nachdem er wieder in Freiheit war, gab es für ihn keine andere Beschäftigung, keine andere Aufgabe, als Branntwein zu trinken, denn er litt unter erschreckendem Durst. –
Im Dorf erzählte man sich, und so hatte es Társila Vilaflor gehört, dass damals die Kneipe „Zum Hahnenkampf“ zur legendären Bühne eines gefiederten Balletts wurde; es kam dabei zu heftigem Geflattere, zu Schreien aus rauen, die Tiere anfeuernden Kehlen; auch gab es Sporenträger, die wie der Blitz über den Gegner herfielen, und bei solch einer Gelegenheit musste der berühmte Kikeriki von Juan Valeriano Samburgo dran glauben, wobei er röchelnd eine Lache aus Blut hinterließ, ein paar zerrupfte Federn und in der Arena eine Wolke wehenden Staubs.
Während sich Társila Vilaflor das bewegte Leben dieses Mannes – jetzt nur noch ein stummer Säufer – ins Gedächtnis zurückrief, brannte es in ihrem Innern. Plötzlich überfiel es sie: Sie spürte die ganze Einsamkeit so vieler Jahre und dieses Gefühl verwandelte sich in den dringenden Wunsch, sich in weiche Bettlaken zu hüllen, die den Geruch des eigenen Mannes trugen und an glückliche Stunden erinnerten. Schon viele Abende lang empfand sie immer wieder aufs Neue dieses Bedürfnis; fast schon von dem Tag an, als Juan Valeriano Samburgo zum ersten Mal an der Stelle Platz nahm, die er von da an, getrieben von der nachmittäglichen Lethargie, immer wieder einnahm.
Sie kannte jeden einzelnen Gesichtszug des Mannes, seine ruhigen Bewegungen, und sie kannte ihn bis in seine stille Trunkenheit hinein. Sie stellte sich vor, wie jene kräftigen Hände sie streichelten und bei der Erforschung ihres Körpers ihre Brüste liebkosten, wie diese Hände den Rundungen ihres Hinterns nachspürten und ihre Schenkel öffneten. Biegsam würden sie sein wie die Zweige eines jungen Baumes. Und dann das Vergessen ihrer selbst im rhythmischen Auf und Ab der Körper und morgens das friedliche Erwachen Wange an Wange.
Der Schirokko da draußen blies heftiger…
© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke