Plötzlich stand sie auf, als wäre ihr etwas Wichtiges eingefallen, ging ins Wohnzimmer und holte aus ihrer Handtasche seinen Pager hervor. Sah nach, ob eine Mitteilung angekommen war. Dann schlenderte sie in die Küche zurück. Es war ein billiges Modell mit schwarzem Gehäuse. Heutzutage gibt es jede Menge schöne und leichte Fashion- oder Karten-Pager, und ausgerechnet ein solch hässliches Ding muss er mit sich herumtragen!
Sie hatte dennoch ein angenehmes Gefühl. »Er ist auf Vibration eingestellt.« Mit diesen Worten hatte er ihn in ihre Hand gedrückt und war verschwunden. Sie erinnerte sich gut an seinen Gesichtsausdruck. Ob der Apparat wirklich auf Vibration eingestellt war? Warum hatte er sich bis jetzt nicht gemeldet? Warum rief er sie nicht an?
Schon bevor sie in die U-Bahn einstieg, hatte sie ihn bemerkt. Er balancierte auf der gelben Linie und bewegte sich auf sie zu, als wäre er auf dem hohen Seil, die Arme ausgebreitet wie ein Pinguin. Als er stehen blieb, spürte sie, dass er sie entdeckt hatte. Wie immer hielt sie die Augen gesenkt und ließ sich nichts anmerken. Sie war gespannt, wie er reagieren würde.
Sie genoss das Gefühl, jemandes Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben. Was immer man über sie sagen mochte, für sie war es wichtig eine Schauspielerin zu sein. Eine Weile schien er sie zu beobachten. Beim Einfahren des Zugs reihte er sich vorne in die Warteschlange ein. Sie folgte ihm und stellte sich dicht hinter ihn. Etwas erschrocken, warf er einen raschen Blick zurück. Dass er auf ihre Anwesenheit so feinfühlig reagierte, war ihr alles andere als unangenehm.
Sie stellte die Schüssel, an der die Reste der Cornflakes klebten, ins Spülbecken und ging ins Wohnzimmer. Das T-Shirt, das ihr als Nachthemd diente, zog sie aus und stellte sich vor den großen Spiegel. Ohne T-Shirt war sie nackt. Im Spiegel, der neben dem Schminktisch stand, betrachtete sie ihre Taille und ihren Rücken. Die Spuren des Höschens waren beinahe verschwunden, sie trug ja seit vier Tagen auch keine Unterwäsche. Auch die Druckstellen des BH über den Schultern und auf dem Rücken waren weg.
Um alle Spuren loszuwerden, pflegte sie vier Tage vor Drehbeginn keine Unterwäsche anzuziehen. Eine Weile betrachtete sie ihren Körper. Dieses Leben dauerte nun schon vier Jahre. Am ersten Ort, wohin sie vom Institut für Models hingeschickt wurde, waren Werbeaufnahmen für Unterwäsche gemacht worden. Jener Gang hatte ihr weiteres Schicksal bestimmt. Zeugnisse, Eignungstests oder Gutachten über ihre Tätigkeit hatten in den entscheidenden Augenblicken ihres Lebens nie eine Rolle gespielt.
Es war etwas anderes, was ihr Schicksal lenkte. Die Laune eines Dozenten im Institut für Models, an einem Tag die Farbe des Himmels, die Feuchtigkeit der Luft am andern, der Umstand, dass ein Mann sie in einem Film zufällig erkannt hatte – Dinge dieser Art. Natürlich auch der Mann, den sie liebte. Mit ihm hatte sie einst von einer anderen Welt geträumt.
In einer Jazz-Bar in Itaewon hatten sie sich kennengelernt. Er arbeitete in einer Firma, die Halbleiter produzierte, das Firmenlogo zierte seinen eleganten grauen Anzug. Sie gab vor, Theater und Film zu studieren. Er brachte die Rede auf Eisensteins Film »Panzerkreuzer Potemkin« und die Montagetechnik, was sie in Verlegenheit brachte. Als sie stumm blieb, bemerkte er höflich, der Film sei wohl weniger ihr Gebiet? Mit einem gequälten Lächeln und der hingeworfenen Bemerkung, »ich bin eben eine schlechte Studentin« überspielte sie die Situation.
»Sie kommen mir irgendwie bekannt vor«, sagte er. Drei Monate später, während des gemeinsamen Urlaubs in Busan, sprach er von Hochzeit. Lass uns heiraten. Mit diesen Worten schob er seine Hand unter ihr Kleid. Damals hatte sie ihm geglaubt. Einen Monat später sagte er, beim Anschauen eines Videos habe er eine Frau gesehen, die an exakt derselben Stelle am Po ein Muttermal trage. Es muss ein Zufall sein, erwiderte sie, aber er hielt ihr mit einem siegesgewissen Lächeln ein Frauenmagazin unter die Nase.
Die darin abgebildete Frau, sie trug ein Korsett und saß mit abgewandtem Gesicht da, war sie selber, Song-Hwa. Als sie sein Haus verlassen wollte, hielt er sie am Arm zurück. Es ist das letzte Mal. Sei mir noch einmal zu Gefallen! Sie machte kehrt und sah ihm gerade ins Gesicht. Unter dem Neonlicht zog sie sich aus und umarmte ihn. Es dauerte, bis er eine Erektion hatte. Sie ging, hinter ihr fiel die schwere Eisentür mit dumpfem Ton zu.
Möglich, dass er es von Anfang an gewusst hatte. Dieser Verdacht hatte ihr mehr zugesetzt als die Trennung. Dann schüttelte sie ihn ab. Was änderte es, ob er es gewusst hatte oder nicht? Es war zu Ende, er würde nicht zurückkommen. Sie begann, sich bereit zu machen für die Arbeit.
© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke