Pressestimmen

zu Kim Sagwa, Ich, B und Buch


Eine Besprechung der englischen Übersetzung des Buchs im Blog „Linienblock“

 

Die Zeit zwischen dem Ende der Jugend und dem Beginn des Erwachsenseins ist schwer zu fassen. Was ist man, wenn man in diesem Stadium dazwischen hängt? Von allen wird man mit Aufforderungen bombardiert, man solle dies und das tun, diese Entscheidung für die Zukunft treffen und damit aufhören dieses kindische Verhalten zu zeigen. Der Druck ist groß, wenn man doch selbst so oft nicht weiß, wohin man will, wohin der Weg führen wird. Es kann gefährlich werden, wenn versucht wird, diese Unsicherheiten mit bestimmten Verhaltensweisen zu kompensieren. Dies zeigt sich in der seltsamen Freundschaft der Mädchen Rang und B, den Protagonistinnen in Kim Sagwas „B, Book and Me“ (das koreanische Original muss direkt mit „mebbook“ übersetzt werden. Die beiden ersten Worte „meb“ lassen sich wie das koreanische Wort für Schmetterling übersetzen, weshalb sich auf dem koreanischen Originalcover auch ein Schmetterling befindet).

 

Die beiden leben in einer kleinen Stadt am Meer, die mit allen Mitteln versucht, die ferne große Hauptstadt Seoul zu imitieren. In Geschäften mit Namen wie Seoul Kitchen, Seoul Restaurant und Seoul Hotel, versuchen die Einwohner*innen so zu tun, als wären sie mitten im Trubel der Metropole. Ein Trug, der sich in den peinlichen Nachahmungen nur umso deutlicher zeigt. Statt Großstadtdschungel, gibt es hier nur das Meer, dessen Wellen in immer gleichen Bewegungen an den Strand spülen. Unbeachtet von ihren Eltern, verbringt Rang die meiste Zeit damit, am Strand dem Wasser zuzusehen und sich zu wünschen, dass sie das Meer wäre. Neben ihr springen Jungen mit gebräunter Haut in die Wellen. Eines Tages zieht einer von ihnen an Rangs Haaren, woraufhin sie ihn schlägt. Kurz darauf beginnt in der Schule das Mobbing. Ohne Grund oder Anlass wird sie jede Pause von den Baseball-Jungen zusammengeschlagen. Die Lehrkräfte ignorieren das Vorgehen ebenso gekonnt wie die anderen Schüler*innen. Sie bleiben ebenso gesichtslos, wie die Baseball-Jungen selbst. Diese tragen Mützen auf denen die Namen von Städten wie Washington, Tokyo oder Shanghai stehen. So heißen sie darum Washington Mütze, Tokyo Mütze und so weiter. Auch die anderen Figuren verbergen sich hinter Spitznamen, beinahe als wären sie nur Schablonen, auf die man jegliche Charaktere projizieren kann. Bei den meisten ist dies auch so.

 

Nur B steht Rang bei. Die Unterschiede zwischen den Mädchen sind groß. Rang ist ein Einzelkind, B hat einen kranken Bruder, der ihr Leben zu bestimmen scheint. Rangs Familie ist wohlhabend, B ist arm. Rang weint nie, B weint. Doch diese Unterschiede spielen zunächst keine Rolle. Die Mädchen treffen sich gemeinsam in einem Café mit dem Namen „Allein“ und Rang bedeutet das Bild, das B ihr zu ihrem Geburtstag gemalt hat, mehr als die Tasse, die der strebsame Klassenkamerad Brille ihr schenkt. Das Meer und ihre Einstellung zum Leben machen sie gleich, ebnen die Differenzen die soziale Klasse und Emotionen fort und lassen sie beide davon fantasieren, einfach ins Wasser zu gehen, zu einem Fisch zu werden und nie mehr zurückzukehren. Gemeinsam sind sie weniger allein oder zumindest lässt sich die Einsamkeit vergessen und aushalten.

 

Doch dann erzählt Rang unbedarft voKlasse von Bs krankem Bruder. Ein Bruch entsteht zwischen den Freundinnen. Weitere Brüche erscheinen, welche die Freundschaft verdeckt hat. Durch die Stadt selbst läuft ein Riss, der die Bewohner*innen auf zwei Seiten stellt: Auf der einen residieren die Wohlhabenden in ihrer Nachahmung von Seoul, die andere wird als „das Ende“ bezeichnet. An diesem Ort der Mythen und des Ruins leben die armen Menschen. Man versteht einander nicht oder will nicht verstehen. Und so versteht auch Rang Bs Reaktion nicht. Sie kann nicht weinen, weil sie nicht weiß warum. B hingegen fühlt sich bloßgestellt. Ihr kranker Bruder ist der Felsbrocken, der auf ihr lastet. Sie zwingt ihn, ihr Ramen zu kochen, tritt ihn und wirft Pillen durch das Zimmer. Als einzige Lösung sieht B sich dazu gezwungen, sich Washington Mützes Gruppe anzuschließen. Er erscheint ihr ganz süß, auch wenn er sie streichelt wie einen Hund.

 

Die einzige Lösung für beide Mädchen ist, den Fängen und Zwängen der Gesellschaft zu entkommen und sich in eine Scheinwelt zu werfen. Diese finden sie bei dem jungen Mann Buch. Buch lebt in einem kleinen Haus abseits der Stadt und dem Ende und tut den ganzen Tag nichts anderes als zu lesen. Sein Wunsch scheint zu sein, selbst ein Buch zu werden.

 

Kim Sagwa lässt ihre Figuren auf ewigen Grenzen des Dazwischen balancieren. Von den Erwachsenen im Stich gelassen müssen die Mädchen selbst herausfinden, was es kostet, erwachsen zu werden und wie dies überhaupt möglich ist. Die Langeweile der Kleinstadt manifestiert sich in übereilten Entscheidungen, in Hass und Zorn und Gewalt. Erst wird Rang ein Opfer dieser Umstände, später auch B. Bei ihr nimmt diese Gewalt auch sexuelle Züge an. Allein Kim Sagwas Sprache ist es zu verdanken, dass diese Szenen auszuhalten sind. Sie wandelt auf einem Grat zwischen Lücken und Erzählen, zwischen Realität und Fantasie.

 

Dünn ist dieses Büchlein, mit nur wenig über hundert Seiten, und doch ist es unglaublich eindringlich und bedrängend. In wunderschöne Worte verfasst berichtet es von unglaublicher Trauer, von Elend und Trostlosgkeit, bis die Geschichte beinahe dystopische Züge annimmt. Fantastische aber auf jeden Fall. Kim unterteilt die Geschichte in vier Teile. Im ersten spricht Rang, im zweiten B. Diese Teile sind strukturiert und klar, doch als der dritte Teil wieder zu Rang wechselt verwandelt sich das Genre in ein fast traumhaftes, surreales Setting. Was passiert, was ist noch real? Eine Szene scheint sich in einem Drogenrausch abzuspielen, ehe der letzte Teil der Geschichte wieder fassbarer wird. Zugleich gelingt es der Autorin, Gefühl von etwa Fünfzehnjährigen ideal einzufangen.

 

Der Wunsch, keine Gefühle zu zeigen, zwischen extremen Hochs und Tiefs zu schwanken, das Gefühl der Unzugehörigkeit. In Rang und Bs Sprache zeigt sich all dies. Sie versuchen, ihre Unsicherheit zu verbergen, gehören nirgendwo dazu und tun all das mit der Behauptung vor sich und anderen ab, alles würde sie langweilen. Am Ende lassen einen diesen wenigen Seiten so zerfleddert zurück, als habe man eine wilde Fahrt in einer Achterbahn hinter sich. Es ist teilweise wirklich harte Lektüre, die Kim hier vorlegt, unberührt wird sie einen ganz sicher nicht lassen. Der englische Verlag hat das Buch als Jugendbuch eingestuft, das ist gewagt. Das Alter der Protagonistinnen legt es vielleicht nahe, doch die Lektüre ist keineswegs nur für diese Altersgruppe, sondern auch für deutliche ältere Leser*innen geeignet. Es lohnt sich, sich auf diese wilde Fahrt einzulassen. Man muss sich ihr hingeben, dann kann wird man belohnt werden.

 

https://linienblock.wordpress.com/2020/12/19/der-schmerz-der-jugend-in-b-book-and-me-von-kim-sagwa/

 

Eine Anmerkung: in der Original-Besprechung ist der Bruder eine Schwester. Im Koreanischen ist das Geschlecht einer Figur manchmal unklar, und so haben die Übersetzerin ins Englische und die ins Deutsche wohl unterschiedlich übersetzt.