Andrea Karimé: Die Briefträgerin

Rezension


Es ist wohl keine leichte Kost, was Andrea Karimé da aufs Papier gebracht hat. Aber es ist eine einzigartige, atemberaubende Liebesgeschichte, es ist Poesie, es ist Kunst.

 

In einer bildgewaltigen Sprache erzählt die libanesisch-deutsche Autorin über die miteinander verbundenen Leben dreier junger Frauen, Sara, Houda, Hamida, die als so genannte “binationale Araberinnen” zwischen verschiedenen Kulturen leben - im Libanon, in Tunesien, in Frankreich und in Deutschland.

 

Die Autorin beschreibt die lesbische Liebesbeziehung zwischen diesen drei jungen Frauen als eine gierige, sinnliche, zügellose und dabei unendlich zärtliche Liebe. Sie beschreibt eine Liebe, die das Herz verwirrt und es schäumen lässt wie wildes Wasser, die mit dem “Tausch der ersten zahmen Küsse” ihren Anfang nimmt und sich rasch zu einer Lust steigert mit tausend Lippen. Es ist unglaublich erotisch, wie Karimé von der Liebe spricht, fast schamlos oder eher zärtlich vulgär.

 

Aber die Autorin beschreibt auch “eine große Liebe, die an Ränder stößt, an alle Ränder, die des Hauses, der Etikette” …, eine beängstigende Liebe, denn sollte nur ein kleiner Funke der Wahrheit über diese Liebe zwischen Frauen an die Familienöffentlichkeit in Tunesien oder im Libanon gelangen, bedeutete es den sicheren Tod für die Frauen. Ihre männlichen Verwandten, Väter, Brüder, Onkel … würden sie ermorden, verbrennen … Der Weg der Frauen ist steinig.

 

Karimé erzählt von ihren Ängsten, ihrer Verzweiflung, ihren Opfern, der Sehnsucht, dem Hunger nach einander, von ihren Verlusten. Die Wege der Frauen trennen sich in den binationalen Wirren schmerzvoll. Houda studiert Islamwissenschaften und schreibt ihre Magisterarbeit über Glaubenserfahrungen arabischer Migrantinnen, Sara schreibt erfolgreich Geschichten und lebt nach dem Tod ihrer Eltern bei den Großeltern in Deutschland. Hamida lebt nach einem Kunststudium unter anderem Namen in Frankreich als erfolgreiche Fotografin …

 

Aber der Kampf der Frauen um einander ist noch nicht verloren.

 

Ich liebe Karimés Erzählung, weil die entzweiten Herzen wieder zueinander finden, weil vor Houda und Sara “neue Nächte im Sternenhemd liegen, die sie küssen und beißen” …und weil Hamida als der Fotograf Sar die Frauen stark liebt, “mit ihrem Herz immer auf Reisen, beflügelt, frei” … weil der Raum, auf den die Frauen letztendlich blicken, weit ist und heiß …

 

Es ist der Autorin hervorragend gelungen, alle meine Sinne als Leserin zu sensibilisieren, mich hineinzuziehen in ihren Bann.

 

Zurück bleibt mein eigenartiger Wunsch, Hamidas Fotoausstellung tatsächlich mal zu besuchen. Ich will sie sehen, ihre Aktfotos von den unanständigen Tulpen, “die ihre Becher durstig wollüstig ins Licht neigen” … Ich will es sehen, “das Erdbeermeer, im roten Feucht“. Ich will Hamidas Bilder sehen zusammen mit Saras geschriebenem Wort. Hamidas Bild und Saras Wort “werden sich lieben, so unanständig und tief und rein wie nur irgend möglich… Sie werden miteinander spielen und frei sein.“ Saras Worte werden durch Hamidas “Bilder klettern, wie Schnecken durch den Salat, und sich voll fressen”.

 

Ich empfehle das Buch unbedingt weiter als ein unvergleichliches, betörendes Leseerlebnis.

 

(Anonym, auf Amazon)