Nicht einmal den Morgenkaffee ausgetrunken, noch kein Frühstück im Magen und Sonja sah mich mit diesem lüsternen Blick an. Ich wusste, was sie wollte. Nur, warum sollte immer ich den Anfang machen? Auch ich wollte erobert werden. Warum spürte sie das nicht? Die Lust verging mir bei dem Gedanken, dass Sonja so unaufmerksam war. Nicht einmal meine Blumen wollte sie gießen. Dabei sehnte ich mich nach einer feurigen Liebhaberin, die die richtigen Handgriffe kannte, um mich zu ungeahnten Höhepunkten zu führen.
Diese Rolle hatte ich bisher gespielt. Zugegeben - es hatte mir gefallen. Nun wollte ich die Rollen tauschen. Konnte Sonja meinen Hunger stillen? Heute Abend wollte sie kochen. Aber konnte sie auch mein Begehren stillen? Ich erinnerte mich an meine ersten Versuche, der weiblichen Spezies näher zu kommen. Damals nahm ich Teil an einer lesbischen Schreibwerkstatt und war völlig ahnungslos:
„Wie ist das mit dem weiblichen Ejakulieren?“
Elas fordernde Stimme drang an mein Ohr. Das Wasser, das gerade durch meinen Mund rann, spritzte in hohem Bogen in den Blumenkübel. Wir saßen auf Elas Balkon und debattierten über die Feinheiten des weiblichen Geschlechts. Ich blickte geradewegs in die Augen von Ela, Bärbel und Dagmar, die mir unmissverständlich zu verstehen gaben, dass Ausweichen zwecklos war.
„Schön gespritzt“, lachte Ela.
„Ja“, grinste ich zurück, „erklär du es ihr!“
„Nein“, sprach Bärbel, „du bist hier die Expertin.“
„Ja“, bestätigte Dagmar, „du gehst doch ständig auf Sexpartys!“
„Oh ja, ja, erzähl, erzähl!“, raunten jetzt alle drei.
Sie rückten näher heran. Ich war umzingelt. Das hatte ich nun von meiner Prahlerei. Warum redete ich auch leichtfertig von Sexpartys? Warum erzählte ich, wie ekstatisch sie wären, wie sämtliche Arten von Sex, Phantasien und Orgasmen dort ausgelebt würden und dass ich dies erfahren hätte. Ich armes Häschen! Meine Schreibgruppe schaute mich gespannt an. Es gab kein Entrinnen. Ich konnte ihnen kaum erzählen, dass ich aus reiner Neugierde dort gelandet war und vor lauter Angst meine Ohren und Augen zugekniffen hatte. Ab und zu, ja, hatte ich einen Blick riskiert. Aber weibliche Ejakulation - davon hatte ich nicht die geringste Ahnung! Meine Zuhörerinnen wurden langsam ungeduldig.
„Was ist nun mit dem Spritzen?“, hörte ich zum wiederholten Male. Ruhe bewahren und nachdenken, funkte es durch meinen Kopf. Mit leichtem Grinsen nahm ich einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche. Konzentriert gurgelnd hielt ich ihn extra lange in meinem Mund und leckte genießerisch meine Lippen. Jetzt hatte ich es. Ich erinnerte mich an einen Film, in dem eine Frau beim Geschlechtsakt Wasser von sich ließ, ganze Bäche, ach was, reißende Ströme drangen vom Bett durch das Zimmer auf die Straße und durchfluteten die ganze Stadt.
Also erzählte ich den mich erwartungsvoll anstarrenden Augenpaaren:
„Auf der letzten Sexparty erspähte ich ein Mädchen. Kaum hatte sie mich wahrgenommen, da zog sie sich auch schon aus. Nun ja, sie erkannte wohl in mir die Expertin. Sie fing auch gleich an zu stöhnen, als ich sie berührte. Für mich war dieser Akt bereits Routine, hatte ich doch schon viele Frauen zum Wahnsinn getrieben. Auch dieses Mädchen schrie nach kurzer Zeit aus Leibeskräften. War es zunächst ein kleiner Strahl, der aus ihr sprudelte, so wurde er bald üppiger, geradezu gigantisch und spritzte schließlich so gewaltig aus ihr heraus, dass die Feuerwehr den ganzen Darkroom abpumpen musste und die Polizei vorbeikam und nachfragte, ob jemand abgeschlachtet worden sei, so laut waren ihre Lustschreie.“
Kaum hatte ich meine Erzählung beendet, wurde ich von der Horde bedrängt.
Schon plärrte Ela: „Ich will das auch!“
Dagmar übertönte sie kreischend: „Oh jaaa, ich auch!“
Und Bärbel forderte gar: „Mach es mir! Schnell! Ich spüre schon die Flut aufsteigen!“
Gerade wollte ich erwidern, dass sie vielleicht erst die Toilette aufsuchen sollte, da sagte sie:
„Gut, heute Abend ist wieder eine Sexparty. Da gehen wir alle hin. Und da kannst du es uns ja zeigen!“
Meine Kinnlade sank herab. Nun starrte ich sie mit großen Augen an.
Ich saß in der Falle und musste mir etwas einfallen lassen.
Und zwar so schnell wie möglich. Doch mir fiel nichts ein.
Plötzlich ertönte wie aus heiterem Himmel Elas zartes Stimmchen:
„Nee, die Party ist verschoben, da wird renoviert!“
Dankbar wandte ich mich meiner Retterin zu, da wisperte sie so laut,
dass es alle hören konnten:
„Hier ist es sowieso viel gemütlicher. Mach es mir gleich hier!“
Die anderen stimmten ohne Umschweife mit glänzenden Augen zu,
mein Gegenüber zog sich aus und ich – ich trank noch einen
weiteren Schluck. Während das Wasser durch meine Kehle
rauschte, erinnerte ich mich vage an eine Bilderserie
aus einem Sexratgeber, in dem beschrieben wurde,
mit welcher Fingertechnik die G-Flächen stimuliert wurden.
Als professionelle Schauspielerin würde ich doch in der Lage sein,
diese hoffentlich einzige öffentliche Sexrolle spielen zu können…
© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke