Leseprobe aus Lucía Rosa González: Diario de un volcán / Tagebuch eines Vulkans

Drei kurze Leseproben (deutschsprachig) aus dem Buch

 

Lucía Rosa González, Diario de un volcán  / Tagebuch eines Vulkans,

 

2. Auflage (1. Auflage 2022,, 3. Auflage 2024 in Arbeit), ISBN 978-3-88769-662-7

 

 

 

S. 49 (1. Auflage S. 47) f.

 

Man muss wissen, dass der Vulkan niemals ruht. Das hatten die vorausgegangenen Beben gezeigt. Die Lava stieg an der Schräge auf. Vom weggebrochenen Kegel aus ergoss sie sich, lodernd strebte sie zu Tal, mit gewaltigen Ausmaßen, ungeduldig, als ob sie so schnell wie möglich dem Berg, den sie geschaffen hatte, entkommen wollte, hier passiert nichts, nur Lava über Lava über Lava, sie will schnell ins Tal gelangen und die Randgebiete ausspähen, die Fincas ins Auge fassen, die Häuser, die bisher Widerstand geleistet haben, sie will sie in die Arme schließen und gleichgültig niederwalzen. Ihre Bewegungen die einer ausgehungerten Schlange, aufreizend ihr Gehabe. Sie demütigt sie, bringt sie zum Verstummen, und die Gehöfte existieren nicht mehr.

 

Die Menschen mussten entsetzt mit ansehen, wie die Lava ihre Häuser und Fincas für immer unter sich begräbt, ihre Gesichter ein stummer Schrei, der rund um die Augen Falten hinterlässt. Sie bringen ihr Leid schweigend zum Ausdruck, als ob sie das Tosen des Ausbruchs so mildern könnten. Sie wollen ein Lächeln versuchen und fühlen sich beschämt, sie wollen ihre Angst nicht sichtbar werden lassen, sondern akzeptieren, dass die Natur da draußen stärker ist als der Mensch. Sie fürchten, dass ihnen, wenn sie sagen: Hier sind und bleiben wir, die Stimme versagt und sie nackt dastehen, inmitten dieses fragilen Kosmos. Sie gehen in Wellenlinien, als würden sie durch den Garten laufen und den Saatbeeten ausweichen, als ob sie die Schatten ihrer Blumen wären.

 

 

 

S. 65 (1. Auflage S. 63) f.:

 

Du siehst nicht Lava näherkommen, du siehst eine Schlange, die an der gutmütigen Bananenfinca entlangschleicht. Du sagst dir, der Kopf hat die Orientierung verloren, die Bananen werden heil davonkommen, diese wird uns nicht überfallen, doch mit züngelnder Zunge ändert sie die Richtung und strebt genau auf die Pflanzen der ersten Reihe zu. Nun gut, diese wird nicht heil davonkommen, aber da bleibt noch die Reihe weiter links. Ach, wenn sie doch …! Es könnte aber auch sein, dass, wenn es nicht beim ersten Angriff, dann beim zweiten passiert, und die Zunge züngelt, und die Lavaschlange legt sich drohend um den runden Wassertank – in den Bananenplantagen sind diese Tanks immer rund –, der Behälter zerbirst und explodiert. Und die weiße Wolke entsteigt kreisend, dann wellenförmig dem Wasser, und das heißt: Katastrophe. Du beobachtest die Vernichtung im Zeitlupentempo und stellst auf Nahaufnahme, damit dir die Lider schmerzen, als ob du die Lava lautlos beschwören wolltest: Aber nein, tu das nicht! Diese perfekten Mauern! Nein! Um Gottes willen. Vor kurzem noch musste die hintere Mauer begradigt werden, sie wölbte sich gewaltig vor. „Schwangere Mauern“ werden sie von den Erntearbeitern genannt. Werden sie nicht repariert, stürzen sie ein und zerschlagen die Pflanzen. „Wir haben ein Problem“, sagen die Erntearbeiter … Von der Dachterrasse aus sahen wir den Brand. Das anfängliche Weiß des Rauchs verfärbte sich zu Rot-Orange-Tönen, man hatte den Eindruck, dass ein Aquarellmaler unbemerkt seine Pinsel dem Wind überließ, der heute kräftig bläst. Die andere Lavazunge, die erbarmungslos Teile von La Laguna verwüstet hatte, fast parallel zur vorangegangenen, rammte den Camino Cabreja und drang in einen Schuppen ein mit allerlei Geräten und Düngemitteln. Ein explodierender Regenbogen überzog die Sicheln und Hacken, Podonas und Barretas mit makabrer Schönheit. Im zweiten Akt bog die Lava ab und befand sich gleich in der Kurve del Pollo.

 

Und was sich dann ereignete, ist unheimlich. Du willst deinen Blick den anderen Bergen zuwenden oder dem Meer oder dich umdrehen und die Caldera bewundern, ich weiß nicht, irgendwas Heiles willst du sehen, das saftig-grüne, gesunde Tal, aber der Vulkan bringt sich in Erinnerung und durchkreuzt deine Wünsche, es ist etwas Dunkles, etwas wie ein grausamer Zwang, und du musst deine Augen auf all die Verwüstung richten, und sie bleiben dort hängen. Und dann wirst du von Kopf bis Fuß durchgeschüttelt.

 

 

 

S. 91 (1. Auflage S. 89) f.

 

Nachdem drei Wochen vergangen waren, ohne dass der Lava-Arm sich von der Stelle bewegt hätte, betraten mein Mann und die Kinder unser Haus in der Sperrzone. Sie sammelten unsere Bücher ein, natürlich nicht alle, gossen die Orangenbäume, kehrten die Asche aus den Patios und von den Orchideen, die noch in Blüte standen, in der Gartenecke unter dem Orangenbaum, dem Lieb-lingsbaum. Die Nachbarin am kleinen Hügel säuberte die Pergola von Asche, ehe die Lavazunge unerbittlich vorwärtskroch. „Hier kommt die Lava nicht hin, unmöglich. So wie der Vulkan sich beruhigt, sei es am Tag oder in der Nacht, komme ich zurück“, sagte sie ganz verliebt. Aber das war nicht möglich –.

 

Mein Mann und die Kinder befanden sich auf dem Rückweg, die Bücher in einem kleinen Lieferwagen auf der Straße nach El Hoyo, da überraschte sie die schamlose Lava, die sich heimlich von hinten angeschlichen hatte. Und ohne ein Wort zu sagen, unter Schock, wussten sie, was zu tun war: Sie mussten es retten, und machten kehrt.

 

Inmitten einer Wolke von Amseln spürten sie den Herzschlag des Hauses, vom Hügel aus sahen sie es lebendig und schön und hatten gerade noch Zeit, ihm mit den Augen adieu zu sagen, während sich die Zunge unerbittlich bewegte. Dieser Lava-Arm zog einen weiteren mit sich, und beide umarmten das Haus und versengten es. Der Schwaden, der unterwegs aus einer offenen Vulkanröhre ausgetreten war, hatte das Ende angekündigt, der Vulkan hatte die Vorhut ge-schickt. Ein Faden weißen Rauches entstieg dem Kamin in der Küche. Der Rauch legte sich über das Dach und verwischte seine Konturen. Und uns erreichten die Bilder vom Brand Minute um Minute über unser Handy, bis zu dem Augenblick, als die Lava den First des Kamins zu fassen bekam. Vor der völligen Vernichtung schien es, als ob im Haus alle Lichter angingen …

 

Auf den Bildern sahen wir, zwar ohne die flatternden Amseln, wie der von seinem Fressgelage bereits angeschwollene Lavafluss in Richtung der Kurve bei Los Estanques abwärtsfloss. Wir konnten ganz klar erkennen, wie ein Schwaden hochstieg, der aber nicht der Atem der Lava war, es war der Atem vieler Jahre. Es schien, dass unser Atem Dunkelheit und Lavaschwaden überwand und entweichen konnte. Der Rauch war manchmal blau.

 

 

((Info, kommt im Text an anderer Stelle vor: Das Haus von Lucías Familie war blau))