Olive Feuerbach: Theresas Berichtsheft

Leseprobe


Meine Fantasien überwältigen mich immer wieder. Und sie hat gesagt, ich muss sie alle aufschreiben, so wie die Lehrlinge ein Berichtsheft führen über ihre Fortschritte. Ich will das machen, werde das machen, wie alles, was sie von mir will. Sie will alle Berichte lesen – und am Ende wird sie mich vielleicht besser kennen als ich mich selbst!

 

Einer der raffiniertesten Kniffe Veras hat gar nichts mit meinem Körper zu tun und lässt mich doch jedes Mal erschüttert zurück. Wir treffen uns jeden Mittwoch zum Apéritif in einem belebten Café und da muss ich ihr die aufgeschriebenen Fantasien seit dem letzten Mal vorlesen. Na und?, mag man fragen. Aber wenn jemand einen Text vorliest, dann spitzen sich an den Nebentischen ganz von allein die Ohren.

 

Vera stellt dazwischen wenige, meist ganz technische Fragen, aber es ist für alle Lauscher klar, dass die Vorlesende sich selbst als das Objekt dieser Maßnahmen beschreibt. So dass ich am Schluss, nachdem Vera gezahlt hat, nur schamrot und mit niedergeschlagenen Augen hinter ihr hinausschleiche.


Fantasie, die sich beim Anhören eines Quartettsatzes von Borodin einstellt

Man sieht, wie Teresa hereinkommt und sich wie eine Verhungernde an Veras Hals wirft. Seit vier Monaten kennen sie einander, Vera und Teresa. Nach drei Tagen waren sie ein Liebespaar. Wo andere sich Ringe schenken, bekam Teresa für die Dauer des Urlaubs chromblitzende Ketten um Fesseln und Handwurzeln. Und von Anfang an war Teresa darauf aus, der Geliebten alle erdenklichen Zeichen ihrer süchtigen Hingabe darzubringen. Wenn diese, wie häufig, gleich sagt: „Zieh dich aus!“, kommt es Teresa gar nicht in den Sinn, auch nur eine Sekunde zu zögern, egal wer sonst vielleicht in der Wohnung sein könnte.

 

Vera hat eine solche Intensität der Unterwerfung nicht erwartet, aber lässt sich darauf ein, und dann gibt es für eine lange Zeit nur Küssen, Tasten, Lecken, Fühlen, Streicheln, Stammeln, Kichern, Seufzen, Zufassen, Saugen, Glucksen, Lachen, Reiben, Reizen, Juchzen… Vera hat gute Lust, dieses süchtige Wesen gleich ohne Rückhalt zu lieben und sich von ihr lieben zu lassen, aber irgendwann sagt ihre Dominaerfahrung, es sei besser, zuerst etwas zu bremsen und die Gangart festzulegen.

 

„Pause!“ Vera greift sich ein Paar Klettbänder und fesselt Teresas Arme auf dem Rücken zusammen, und zwar von den Handgelenken bis zu den Ellbogen so straff, dass der Zug in den Schultern ein bisschen wehtut. Mit der Zeit mehr, dann später gibt es sich.

 

„Ja, mach mich zu deiner Lustsklavin“, sagt Teresa noch. Dafür bekommt sie den Knebel, einen ziemlich großen schwarzen Ball mit Atemlöchern. Den Mund so weit aufgesperrt zu bekommen, ist nicht angenehm, und dann trieft auch noch der Speichel. „Damit du nicht so viel plappern musst!“ Teresas Brustwarzen signalisieren, wie erregt sie schon ist, aber sie kann jetzt ihre Freundin und Herrin nur noch mit den Schultern, den Brüsten, den Bewegungen des Halses und des Schoßes liebkosen. Aber findet Teresa darin nicht ihren eigenen Wunsch wieder? Bringt nicht jeder Schritt mehr an Hilflosigkeit auch mehr Abhängigkeit und damit mehr Zuwendung der Geliebten mit sich – in der Perspektive, dass sie am Ende nur noch Ausdruck von deren Willen, am liebsten als ein Teil von deren Leben gelebt werden wollte?

 

Vera hat wohl ihr Abschweben gespürt. „Ich glaube, wir werden noch viel Schönes mit dir anstellen, mein Hürchen.“ Das gänzlich unerwartete Wort schmerzt, die Assoziation mit einer Hure, die ihr Geschlecht gegen Geld auch da anbietet, wo keine Liebe ist, kam in Teresas Welt bisher nicht vor, und von der sensiblen und verehrten Vera hätte sie das zuletzt erwartet; aus Protest rollt Teresa mit den Augen. Aber Vera kennt kein Pardon. „Ich weiß, so was hört man als kleine spießige Bürgerin nicht gern. Aber bist du nicht ein Hürchen, wenn du zu allem bereit bist, sofern man dich nur in der Währung von Geilheit und Demütigung bezahlt?“

 

Touché! Das Stichwort funktioniert, auch wenn Teresa das nicht wahrhaben will. Natürlich ist etwas dran und prompt beginnt sie in ihrem erregten Zustand sich auszumalen, wie es denn wäre, wenn sie unter irgendwelchen Umständen, vielleicht in einem fremden Land, in einem Bordell gelandet wäre und dort einer Frau, einer selbstbewussten, anspruchsvollen Frau als Kundin, ausgeliefert wäre. Sie spürt es an ihren Brustwarzen, wie eine anspruchsvolle Freierin sie packen und reizen würde. Wie diese sie berühren, benützen, durch Orgasmen jagen, aber auch erniedrigen, demütigen und vielleicht sogar quälen könnte. Oder, wenn sie mit ihren Diensten nicht zufrieden wäre, oder einfach gemein, sie bei der Sklavenhalterin anschwärzen würde, um sie schmerzhaft züchtigen zu lassen, was vielleicht vor der Kundin, oder auch vor anderen Mädchen, oder gar in einer Art Öffentlichkeit vor fremden Menschen ausgeführt würde, die sich dann an ihrem Zucken und Schreien ergötzen, über ihr Bittgestammel und ihre Tränen lachen würden.

 

Was geht eigentlich in mir vor, fragt sich Teresa, dass ich in dem Moment, in dem meine Liebste meinen Körper anfasst und für sich modelliert, liebevoll modelliert, zugleich darüber fantasiere, dass sie mich anderen Leuten ausliefern könnte? Bin ich geil geworden wie eine läufige Hündin, wenn es für mich vorstellbar wird, dass eine andere, eine fremde Frau, ja nicht nur das, sondern eine zahlende Kundin, in mir die Katarakte der Wollust auslösen und mich mit dem ozeanischen Gefühl überschwemmen könnte – solange das nur mit der Geliebten zusammenhängt? So, wie sich die Vorstellung jetzt auf ihre Erregung auswirkt, kann sie das nicht ausschließen.

 

Ein Klaps auf den Hintern reißt sie aus diesen Gedanken. „Was träumst du, Schätzchen? Denk dir lieber aus, wie man eine Sklavin bestrafen sollte, die allzu gedankenlos in der Gegend herumsteht.“

 

Sie möchte erklären, sie sei doch nicht gedankenlos herumgestanden, aber kann jetzt ja nur den Kopf schütteln.

 

Vera packt sie an den Brustwarzen. „Aber ein geiles Stück bist du schon.“ Sie greift nach den Klemmen, der Augenbinde und den vibrierenden Spielsachen. „Komm!“ Und beschert ihr dann die schönsten Orgasmen.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke