Feuerbach, Olive: Schmutziger Mord

Leseprobe


1

Da war doch was, sagte sich Schreitmüller. Er wälzte sich vorsichtig auf den Rücken. Hanna sollte nicht merken, dass er aufgewacht war. Der Mond draußen schien in die kahlen Apfelbäume des Vorgartens und legte im Zimmer einen hellen Streifen vors Fenster. Seine Hand fühlte sich taub an, er hatte sie unter dem Kopf gehabt.

 

Schreitmüller wäre beruhigt gewesen, wenn er für sein Erwachen einen Anlass gewusst hätte. Sein Internist hatte erst kürzlich gesagt, es sei ein Alarmzeichen, wenn man anfängt, nachts ohne Grund aufzuwachen. Er hatte lange gebraucht, das Thema Alkohol anzusprechen, das aus den Leberwerten längst abzulesen war. Alkohol die Volksseuche. Kaffee zum Anfahren, Wein zu Tisch, Kaffee und ein Cognac am Nachmittag und dann mehr Alkohol zum Abbremsen und zur Bettschwere – das gab den Tagesrhythmus vor, bei ihm und Hanna, bei den Freunden und Nachbarn und den ganzen Pensionären und Frührentnern, die um sie herum in der Stuttgarter Dachswaldsiedlung und den anderen Villengebieten sich an die Telefonate mit ihren Kindern klammerten und ihre Tage hinbrachten in der Hoffnung, dass irgendwann irgendetwas passiert. War es so weit? Suchtzeichen? Oder hatte ihn doch etwas geweckt? Etwas Reales. Da draußen.

 

Da hörte er es. Nein, das Geräusch war keine Wahnidee.

 

Das könnte ein Schrei gewesen sein – oder was? Schreitmüller lauschte und es kam ihm in den Sinn, dass er sofort das Revier anrufen würde, sobald er überzeugt wäre, sich mit seiner Meldung nicht lächerlich zu machen. Wie klingt es, wenn eine Frau um Hilfe ruft, die belästigt wird? Schreitmüller sagte sich, dass das kein Hilfeschrei war. Eher langgezogen, unmenschlich, dachte er, als es ähnlich noch einmal kam. Wer in Not ist, würde doch um Hilfe schreien? So könnte ein Tier schreien, vielleicht auch ein Mensch unter großen Schmerzen, aber das passiert doch nicht hier, dann ist man in der Klinik und wird sediert. Es könnte auch ein zur Unzeit verliebter Kater sein.

 

Schreitmüller kämpfte um seine Zivilcourage. Er stand auf und öffnete das Fenster. Von draußen schlug ihm die frostige Nachtluft entgegen und ließ den Atem dampfen. Er horchte. Ob Hanna wach wurde, war ihm jetzt egal. Bürgerpflichten gehen vor.

 

Doch was er jetzt hörte, war eindeutig ein technisches Geräusch. So etwas erkannte er. Eine Flex wahrscheinlich. Rücksichtslos, dachte er, diese jungen Leute, die nach dem Weggang der Alten eines der Häuser in der Siedlung nach dem anderen übernehmen. Unglaublich das, morgens um zwei den Nachbarn dieses jaulende Maschinengeräusch zuzumuten!

 

Eine Weile lauschte er noch, das Fenster einen Spalt geöffnet. Wieder die Flex, sie klang aggressiv, hörte nicht auf, eine halbe Minute, was müssen die bloß zuschneiden mitten in der Nacht? Ich sollte doch die Polizei rufen. Dann Stille. Minutenlang. Nicht weit entfernt wurde ein Auto angelassen, dann noch eines, da ging wohl eine Party zu Ende. Eins war ein Daimler, das hörte er. Seit die jungen Familien sich hier einnisteten, wurde es öfter hier und da sehr spät. Der Daimler fuhr vorbei, gefolgt von einem Audi. Viel zu schnell, zumal es kalt war und die Straße an vielen Stellen von einem Eisfilm überzogen. Sind die besoffen?

 

Ne, sagte er sich, ich bin schon noch okay, und legte sich wieder hin, aber ich sollte doch versuchen, weniger zu trinken. Hanna atmete ruhig und schon war er auch eingeschlafen.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke