Dagmar Fedderke: Notre Dame von hinten

Leseprobe


Der Taxifahrer

 

In Paris ein Taxi zu bekommen, ist nicht ganz so einfach. Es gibt Zentralen, die man anrufen kann. Die meisten Taxenstände bestehen nur aus einem Schild. Am besten ist es, sich einfach an die Straße zu stellen in der Hoffnung auf den Zufall. Wenn man aber mit Gepäck zum Flughafen muss, ist das sehr nervenaufreibend.

 

Merkwürdigerweise habe ich mit Taxen immer Glück. Ich habe einen Taxifahrer kennengelernt, der mir seine Handynummer gegeben hat. Wenn er gerade eine Fahrt macht, geht er nicht ran, aber ich kann meine Bestellung auf die Mailbox sagen. Sein Name fängt mit S an und er ist ein schöner Mann, der sich viele Gedanken macht. Da ich nun schon öfter mit ihm gefahren bin, haben wir uns angefreundet.

 

Neulich hat er mich besucht und legte mir seine Theorie vom Lernen dar. Die klang etwas spinös und hatte viel mit Energie-Aufnehmen, richtig atmen, sich öffnen und ande­ren zusammengebastelten Ritualen zu tun. Ich hörte ihm zu.

 

Er saß mir gegenüber an meiner Bar in der Küche, er hatte Kuchen mitgebracht und wollte, dass ich ganz viel esse. Dann erklärte ich ihm mein Bildermalen am Computer. „Am Computer kann ich Befehle gehen, und der führt die dann auch aus. Das ist angenehm, das tut der Psyche gut.“ Er lachte.

 

Sein Lachen war heruntergeschraubt von seinen verschro­benen Theorien, es war einfach. Im Lachen konnten wir uns begegnen. Sein Reden hatte mich angestrengt. Schließlich merkte er, dass es Zeit war, sich zu verabschie­den. Ich entriegelte und öffnete die schräg abgeschnittene Eisentür meiner Mansarde, und wir gaben uns die franzö­sischen Wangenküsse.

 

Ich weiß nicht mehr, was es war, er entdeckte noch einen Anlass zu einer Frage, die uns in den Raum zurückführte. Dann, wieder an der Tür, tauschten wir zum zweiten Mal die Wangenküsse aus. Aber diesmal lösten sie sich aus der Anonymität. Er umarmte mich persönlich. Und mir wurde sofort klar, wenn ich jetzt nichts unternehme, um auf Distanz zu gehen, dann ist es mal wieder soweit. Ich such­te nach einem Trick. Denn ich mochte ihn und wollte ihn nicht verletzen. Aber mir fiel nichts ein.

 

Irgendwie war ich darüber verzweifelt. Jede Frau fühlt sich wohl in den Armen eines schönen Mannes, auch wenn er spinöse Ideen hat. Aber ich wollte nicht, ich wollte einmal stark sein, relativieren und selektieren können. Er hielt mich immer fester und küsste mich nicht auf die Wangen, sondern auf den Mund. Genauer: in den Mund. Seine Zunge füllte meine ganze Mundhöhle aus, die Umarmung wurde streng und starr. Ich fühlte sein wachsendes Glied zwischen den Stoffen der aneinandergedrückten Körper und wusste, jetzt ist es zu spät. So kann er nicht mehr weggehen.

 

Er drückte mich zurück in den Raum, setzte mich auf den Barhocker und sagte, wie ich atmen solle. „Maintenant c‘est moi, qui commande … (Jetzt befehle ich)“ Er presste sich gegen mich und wiederholte eindringlich die Worte „voyage, voyage“ (reise, reise). Und ich dachte, der will mich hypnotisieren. Dann legte er seine Hand kenntnis­reich zwischen meine Beine und sagte: „Et maintemant il faut travailler ... là ...“ (da ... muss jetzt gearbeitet werden) Er zog mich ganz und gar aus, sich selbst auch, und wir landeten auf dem Gästebett. Es war schön mit ihm. Ich turnte auf ihn drauf, und er flüsterte, „laisse-toi aller, tu peux jouir, tu peux crier“ (lass dich gehen, es darf dir kom­men, du darfst schreien), aber er sagte das wie ein Predi­ger, und ich hatte den Eindruck, dass er das mehr zu sich selbst als zu mir sagte. Sein Körper war sehr angenehm. Als er unter die Dusche ging, bemerkte ich plötzlich, dass meine schräge Wohnungstür noch offen stand ...

 

Gestern Abend hat er mich wieder besucht. Er hielt keine langen Vorträge. Wir tranken Tee und scherzten ent­spannt. Dann nahm er mich wunderschön in seine Arme und wieder spürte ich sein Teil wachsen „Sacrée Dagmar“, sagte er. Wörtlich übersetzt heißt das „heilige oder geheiligte Dagmar“. Diesen Ausdruck gebraucht man hier oft. Für deutsche Ohren klingt das sehr ungewöhnlich, wir kennen höchstens „heiliger Strohsack“.

 

Diesmal freute ich mich auf den Sex mit ihm. Wir trieben es lange, ausführlich und genüsslich auf dem Gästebett. Das war kein einfa­ches baiser kein Bumsen, das war faire l‘amour ! „Wenn man es so macht, kann es dir 40 bis 50 Mal kommen, das ist Tantra“, sagte er.

 

Da musste ich schmunzeln. 40 Mal, das wäre mir dann doch zu viel.

 

Aber dieses Gefühl, ich werde noch mal verrückt daran. Vielleicht bin ich es längst? Als er ging, umarmte er mich liebevoll. „Ich werde dich nicht vergessen“, sagte er. Ich fand das sehr nett von ihm und dachte mir gar nichts dabei, höchstens „il ne manque que ça (das fehlte gerade noch).“

 

Neulich musste ich zum Flughafen und rief seine Telefonnummer an. S. fährt nicht mehr Taxi.

 

 

 

 Aus dem Vorwort

 

 

Von vorne fällt es einem nicht auf, aber wenn man im Café St. Régis auf der Île St. Louis sitzt und Notre Dame von hinten sieht, begreift man plötzlich, dass Notre Dame eine Frau ist.

 

Die gotischen Strebebögen, die Wasserableiter vom Dach machen das im Verhältnis zu den Fassadentürmen mächtige Kirchenschiff zu einem reichen Faltenrock [...]

 

Paris ist eine Stadt der so viel versprechenden Erotik, der Passion, der Leidenschaft, die Betonung liegt auf dem Leiden, Paris die Stadt der Liebe, ist genauso sehr eine Stadt des Liebeskummers. Eine Stadt der Sehnsucht. Eine Stadt für einsame, für Träumer, die gar nicht wirklich die Erfüllung der Sehnsüchte suchen, vielleicht sogar aus Angst vor dem sogenannten Glück.

 

Ein idealer Lebensraum für alleinstehende Frauen mit Phantasie...

 

Die folgende Sammlung von Geschichten hat nicht immer direkten Bezug zu Notre Dame, aber doch zu den geheimnisvollen Hintereingängen, den Bühneneingängen für die Mitspieler des Pariser Liebeslebens, das manchmal andersherum abläuft, so dass es wohl zu einer Vorstellung, aber nicht zur Aufführung kommt.

 

 

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke