Próximamente habrá una versión en español
Rose Marie Dähncke – Text in Doppelklammern nicht vorgetragen: Vortrag von Claudia Gehrke zu Rose Marie Dähncke auf der Veranstaltung „Viaje literario por la naturaleza / literarische Reise durch die Natur der Insel La Palma“ in Mazo anlässlich ihres 100sten Geburtstages.
(Vielleicht verlegen wir ihre Biografie mit vielen knapp erzählten, schönen, lustigen und auch schrecklichen Momentaufnahmen aus 100 Jahren. Gerne können Sie das Buch vorbestellen (ca. 280 Seiten, ca. 80 Fotografien, ca. 18 Euro). Mailen Sie uns.
Rose Marie Dähncke hat ihr Leben notiert. In vielen kurzen Anekdoten über unterhaltsame Alltagsereignisse in der Natur, mit Dingen, Menschen und Tieren, zum Beispiel, wie Hunde, Ziegen, Kühe und einmal auch Männer mit Pistolen sie auf ihrer Finca besucht haben, was bei Vorträgen Seltsames gefragt wird, warum Ziegel Mönch und Nonne heißen, auch Erlebnisse beim Schlüpfereinkauf und vieles mehr. Ich könnte jetzt stundenlang vorlesen – aber ich beschränke mich auf die Zusammenfassung ihrer Biografie…
Ihre Urgroßeltern waren nach Australien ausgewandert und betrieben eine Bäckerei, Großmutter Rose wurde dort geboren. Irgendwann segelte die Familie mit ihren 5 Kindern zurück nach Europa, sie waren reich geworden. Und Rose lernte einen Rittergutsbesitzer aus dem Ort Brinsdorf (Polen) kennen, die beiden heirateten und eines von deren Kindern wurde Rose Maries Vater. Ihre ersten Lebensjahre verbrachte Rose Marie (Kerszebinsky) auf diesem Rittergut bei den Großeltern. Man versuchte ihr beizubringen, vornehm zu sein, das war ja eine vornehme Familie, sie sollte immer die „gute Hand“ geben und, noch schlimmer, immer lächeln, auch wenn ihr nicht nach Lächeln zumute war. Und alles Mögliche durfte man nicht sagen, zum Beispiel, wenn eine Frau Unterleibsbeschwerden hatte, durfte das nicht ausgesprochen werden, daran erinnert sie sich noch und dass sie sich schon damals darüber wunderte und das unmöglich fand. Mit der Großmutter ging sie zum Pilzsammeln in die Wälder. Die trug dabei damenhaft Seidenhandschuhe und ein Stöckchen, um auf die Pilze zu zeigen, nach denen sich dann das Dienstmädchen bücken musste. Und zum Foto mit dem strengen Großvater sagt sie: er hält mich fest, aber ich wollte immer weglaufen ...
Ihr Vater war Ingenieur für Vermessungstechnik und viel unterwegs, sie sah ihn selten, wuchs quasi allein mit ihrer Mutter auf. Nach der Zeit bei den Großeltern wohnten sie in Brandenburg. Es gibt kaum Fotos von ihrem Vater (oben rechts eines, wo er noch Schüler ist und Theater spielt, er ist der hinten in der Mitte). Jeden Morgen machten ihre Mutter und sie einen langen Waldspaziergang, bei den Spaziergängen sangen sie, und Rose Marie hat noch einige der Lieder im Kopf. Und klar, in der Pilzzeit wurden Pilze gesammelt.
Die schlechten Zeiten machten sich auch auf dem Land nahe Berlin bemerkbar. Es gab Lebensmittelkarten. Die Rationen waren so klein, dass das Hungern begann.Dazu gibt es einige gruselige und einige lustige Anekdoten ((u.a. zum Kuchenbacken *))
In der Schule hatten sie Musikunterricht bei einem „Braunhemd“ und lernten nichts, sondern mussten immer nur Hitlerlieder singen. Für Bekleidung und Schuhwerk waren Bezugscheine nötig. Etwas Schönes gab es nicht. ((Rose Marie Dähncke: „Als wir eine Benachrichtigung erhielten, dass ein Bekannter meiner Eltern gefallen war, ging ich mit diesem Schriftstück auf das Bezugscheinamt und erklärte mich als die Verlobte des armen Gefallenen. Man sah mich zweifelnd an, der Altersunterschied war beträchtlich, aber ich behauptete eisern, dass es so sei, und dass ich standesgemäß um ihn trauern will. Man gab mir schließlich den Bezugschein über eineinhalb Meter schwarzen Stoff, aus dem ich mir ein Kleid nähte.)) Nach der Schule machte sie eine Ausbildung an der Handelsschule in Berlin. Es war eiskalt, denn es gab keine Kohlen – und arbeitete dann als Sekretärin - Sie hatte damals Blindschreiben mit 10-Finger-System gelernt, und das konnte sie noch letztes Jahr mit 99, als wir nebeneinandersaßen und am Buch arbeiteten. Sie schrieb auf einer Tastatur auf der kein Buchstabe mehr zu erkennen war. Kurz vor ihrem 100sten erzählte sie mir, dass ihr Körpergedächtnis das 10.Finger-System vergessen habe, sie war ungehalten darüber, hat sich dann aber eine neue große Tastatur angeschafft und ein Lämpchen und sagte mir am 100sten Geburtstag am 10.2.25, es gehe jetzt schon wieder besser mit dem Schreiben.
U.a. war sie in einer Hoch- und Tiefbaufirma beschäftigt. Der Chef war schrecklich, wollte ihr an die Wäsche und ließ sie viele unangenehme Arbeiten machen, die weder er noch andere sich zumuteten. Einmal, sie war vielleicht 16, musste sie nach Berlin und aus dem Führerbunker eine Aktentasche voll mit Bargeld abholen, womit etwas bezahlt wurde, was die Firma für diese Naziregierung gemacht hatte– was das war, wusste sie nicht, sie fragte sich, da das mit Bargeld bezahlt wurde, ob es was Dubioses war. Sie erinnert sich noch, dort in dem Bunker war es grauslich. Halb unter der Erde, mit überdicken Mauern, drinnen lange Gänge, alles Zementwände mit rechts und links offenen Zellen ohne Türen, ohne Einrichtung, nur Stahlschrank und Tisch, alles kalt und abweisend. Sie hat dann irgendwie die Auszahlungsstelle gefunden. Als sie aus dem Betrieb mit dem schrecklichen Chef wegwollte, wurde sie zu Schweißarbeiten eingeteilt, ein Glas Milch zusätzlich gab es zur Entgiftung. Einmal stellte sie sich ohnmächtig. Dank eines Betriebsarztes, der ihr ein Attest ausstellte und ihr einschärfte, sein „staatsfeindliches“ Verhalten niemandem zu verraten, konnte sie dort weg. Alle ihre Kindheitsfreunde sind im Krieg gefallen. Ein Foto hat sie aufgehoben. Sie formulierte es so: ich war mit ihm mehrmals zum Tanztee verabredet, doch als ich darüber nachzudenken begann, ob ich mich in ihn verliebt hätte, war er tot. Er starb an einem der ersten Kriegstage.
1944 flohen ihre Mutter und sie nach Lübeck. Rose Marie fand Arbeit in einem Krankenhaus, mit der Arbeit verbunden war eine kleine Wohnung. In dem Krankenhaus wurden verwundete Soldaten behandelt, viele starben.
Als Ausgleich ging sie wieder in Wälder. Sie hatte einen Reitstall entdeckt. Als sie einmal in dem Reiter-Wald spazierging, fand sie aufregende Pilze, was, so schreibt sie, einschlug wie ein Schicksalsschlag.
Sie traf zwei Pilzfachleute, von denen sie viel lernte. Sie war 19, ihr wissenschaftliches Interesse war erwacht, sie begann, Pilze zu fotografieren und nahm sich schon in dieser Zeit vor, irgendwann in ihrem Leben ein Pilzbuch zu machen. Bald war sie selbst in der Pilzberatung tätig. ((Ein paar Jahre später heiratete sie und hieß nun Dähncke. Eine schwierige Zeit folgte. Aber sie konnte der Ehe immer wieder entfliehen, machte große Reisen im Auto mit ihrer Tochter, nach Frankreich, ans Mittelmeer, nach Tunesien, Dänemark, Schweden, Norwegen. Sie schliefen meistens im Freien oder im Zelt. Jeder dieser Reiseberichte liest sich wie ein Roman. Immer fotografierte sie, manche Fotos erschienen in einer Zeitung.)) Anfang der 1970er, nach ihrer Scheidung, bekam sie eine Stelle bei der Schwarzwälder Pilzlehrschau in Hornberg, wurde 1972 deren Leiterin. Unter ihrer Leitung wurde daraus eine Lehrinstitution für die Ausbildung von Pilzberatern und Hornberg international bekannt. ((Sie kultivierte 4 Arten von Speisepilzen, erst im Keller des Hauses, in dem sie wohnte, dann in einem Pilzgarten nahe Hornberg, und große Pilzbetriebe entstanden mit ihrem Material.)) Die Pilzfotosammlung war über die Jahre enorm gewachsen und sie veröffentlichte nun Pilzbücher und auch Kochbücher, u.a, „1200 Pilze in Farbfotos“, und das wurde ein Bestseller. Vor ihren Büchern gab es keine Pilzführer mit farbigen Fotos und auch keine Pilzkochbücher. Und immer nahm sie nebenher das Lustige in ihrem Alltag wahr. Szenen wie diese: Einmal fragte ein Besucher, ob das stimme, dass Knollenblätterpilze gegen Krebs helfen, er habe gelesen, dass die Pharmaindustrie daran arbeite. Ihre Antwort: „Das ist nichts Neues, es war schon immer bekannt, dass man nicht an Krebs starb, wenn man genügend Grüne Knollenblätterpilze gegessen hatte".
1979 trennte sie sich schweren Herzens von Hornberg – weil sie sich neu verliebt hatte … in die opulente Natur und den besonderen Pilzreichtum einer kleinen Insel.
Bis sie Anfang neunzig war, machte sie noch ihre Pilzspaziergängeund führte Mykologen aus aller Welt durch die vielfältigen Pilz-Biotope der Insel zu bekannten und seltenen Pilzarten.
Ihr riesiges Archiv mit Bildern, 4000 Karteikarten mit Pilzen und den Infos dazu, und mit Exponaten hat sie an ihrem 90. Geburtstag der Stadt Mazo geschenkt, und ein Pilzzentrum entstand, das momentan geschlossen ist. Rose Marie Dähncke träumte (und träumt noch) von einem großen Pilzmuseum.
Mit 99, im letzten Jahr, wollte sie ihre Spaziergänge und vieles mehr weitergeben und gestaltete zusammen mit mir am Computerdas neue großformatige zweisprachigesBuch, das vor Kurzem erschienen ist: „La Palma. Die Pilze - Pilzführer in 22 Biotope / Las setas. Guía de setas en 22 biotopos“ – in diesem Buch nimmt sie uns mit auf ihre Spazierwege in 22 verwunschene und besonders pilzreiche Biotope auf La Palma. Mit vielen, teils großformatigen Wald- und Pilzfotos. In einem weiteren Kapitel des Buchs gibt sie weitere Geheimnisse preis: Eine Übersicht über alle auf der Insel La Palma bisher entdeckten Pilze (ca. 1500), dazu gibt sie auch das Biotop an, in dem sie sie gefunden hat. Nur bei den Pilzen, die andere gefunden haben, konnte sie nicht alle Fundorte rekonstruieren. Und sie streute wie nebenher auch ein paar ausgewählte Pilzrezepte eine und eine ihrer Miniaturgeschichten, die auf ihr auf einem der Spazierwege in die Biotope passiert war. Ein Riesenkartoffelbovist spielt dabei eine Rolle.
Pressestimme: "Das Buch vereint wissenschaftliche Präzision, persönliche Leidenschaft und eine visuelle Brillanz, die das Lesen und Entdecken zu einem besonderen Erlebnis machen." (mediennerd)
„Mein Leben lang halfen mir diese verwunschenen Waldgeschöpfe in schlechten Zeiten, heilten manchen Kummer, und durch meine Erfolge schufen sie mir auch sehr gute Zeiten mit Glück und Wohlstand.
80 Jahre lang waren sie meine Freunde. Sie überleben mich im Städtchen Villa de Mazo …
Und hier sitze ich immer noch und genieße das Wohlergehen auf diesem paradiesischen Fleckchen“, das schreibt sie heute, an ihrem 100sten Geburtstag am 10.2.2025
Eine der vielen kleinen Momentaufnahmen
* Die Geschichte zum Kuchen in der Kriegszeit. (Es gibt auch eine Geschichte mit einer Katze)
Wir waren stolze Besitzer eines Fahrrades, diesem wertvollen Gefährt für längere Strecken. Das hüteten wir wie ein Kleinod. Wir konnten es nicht auf der Strasse stehenlassen, und so hatte es
seinen festen Platz in der grossen Küche, direkt an den unbenutzten Herd gelehnt, wo es nicht störte. Eines Tages, unfassbar, wie sie es geschafft hat, verfügte meine Mutter über ein paar Zutaten
für einen Kuchen, etwas Eiartiges, ein bisschen Mehl und Zucker, etwas Fettiges – Butterschmalz kam gerade in Mode – und rührte es zu einem geschmeidigen Teig zusammen. Ich hatte mal bei einem
organisierten Sportschiessen (vielleicht wollten sie mich später als Soldatin missbrauchen) ein BACKWUNDER gewonnen, und das weihten wir ein. Es war eine runde Kuchenform aus Blech, die durch ein
elektrisches Heizsystem im Deckel betrieben wurde. Ein kleines Fensterchen war eingearbeitet, und wir konnten sehen, wie unser Kuchen richtig schön anstieg. Ja, und dann passierte das
Missgeschick. Die Kuchenform hatten wir vorne auf der sonst völlig unbenutzten riesigen Herdplatte abgestellt, und um ein bisschen Kontakt damit zu bekommen, musste man sich vorbeugen und über
das Fahrrad hinweg hantieren. Und dabei passierte es dann, dass meine Mutter mit dem Elektrokabel in Konflikt geriet, die Form umfiel und der Teig geschmeidig und unbeirrt herausfloss, über die
Herdkante hinaus und durch die Speichen des Rades hindurch bis auf den Küchenboden. Die Oberfläche des Kuchens, schon schön angebacken, schwemmte im ganzen heraus, und jetzt war alles eine
grosse… na das können Sie sich selbst genau vorstellen, wie die Reste langtropfend in den Speichen hingen, ungleiche Teigkleckse auf dem Fussboden verteilt waren, und das bereits Gebackene
auf Hilfe wartete. Ohne auch den geringsten Zweifel an unserem Vorhaben gingen wir daran, alles irgendwie Erreichbare wieder in die Form zu füllen. Sie wurde nur noch halbvoll, und wir
fuhren schnell noch mit Daumen und Zeigefinger über die einzelnen Speichen, um wirklich alles getan zu haben für unseren Kuchen. An Speichenschmutz dachten wir nicht, was machte schon so ein
bisschen mehr Dreck in so dreckigen Zeiten.
Unser Kuchen wurde dann ganz wundervoll, goldbraun, schön gegangen, duftend wie es sich gehörte und liess uns das Wasser im Munde zusammenlaufen. Und welche Überraschung, als wir ihn dann endlich
probieren konnten: er schmeckte nicht nur wunderbar, nein, diese vorgebackenen Teile der Oberschicht, die dann ja untergerührt waren, gaben ihm eine ganz besonders köstliche Note, wie feinste
Krokantbeimischung oder so. Mit diesem Kuchen hatten wir dann ein paar glückliche Momente in dieser unbeschreiblich traurigen Kriegszeit, und ich habe ihn bis heute nicht vergessen, weil er
damals wirklich etwas ganz Besonderes war.
Als wir ihn später noch einmal backten und das angebackte wie kroakant unterrährten, schmeckte er bei weitem nicht so gut. Das Besondere am Krokant muss der Speichendreck gewesen sein.