Im Alter von fünfzehn besuchte ich zwei Jahre eine private Kunstschule, um anschließend auf eine Staatliche Kunstakademie zu wechseln. Dafür brauchte ich jedoch ein Jahr Praktikum im Grafischen Gewerbe, also habe ich mich bei einer Buchdruckerei in meinem Bezirk Tempelhof beworben und bin als Setzerlehrling eingestellt worden. Da sie keine Praktikanten beschäftigen wollten, habe ich mich zum Schein auf eine Ausbildung eingelassen, wohl wissend, dass ich die nach einem Jahr aufkündigen würde. Die Arbeitswelt mit Bleilettern und Hunderten von Schriften hat mich sehr beeindruckt, die Kollegenschaft amüsiert. Es waren großartige Typen darunter.
Parallel besuchte ich an der Kunstakademie Abendkurse in Schrift. Linien zu einem wohlgelungen, ästhetischen Buchstaben zu formen, und die wiederum zu Worten, und die wiederum miteinander so auszugleichen, dass sie eine harmonische Lesbarkeit bewirkten, diese Fertigkeit hat mich am Schriftschreiben so fasziniert und mir bewusstgemacht, was der Unterschied zwischen einer guten oder schlechten Schrift ist und wie ein nachlässig gesetzter Text den Betrachter deutlich schneller ermüdet. Manchmal haben wir uns auch nur an einem einzigen, großen Buchstaben geschunden, bis wir endlich seine Seele perfekt visualisiert hatten.
Anschließend, als Student auf der Kunstakademie, ging die Ausbildung im Fachbereich Schrift bei einem renommierten Dozenten über mehrere Semester weiter. Ich habe dann nach dem abgeschlossenen Studium fast zehn Jahre wohl nicht als Typograph oder Kalligraph, sondern als freier Grafik-Designer gearbeitet, aber meine Ausbildung hat mein Auge für Proportionen und die Schönheit von Schrift geschult und mein Verständnis von ästhetischer Typografie bis heute geprägt.
Schaue ich mir allerdings heute manche Typographie an, stehen mir häufig die Haare zu Berge, wie dort Schrift misshandelt wird. Vom Computer runtergehackter Einheitsbrei. Was nicht passt, wird passend gemacht. Von Harmonie keine Rede.
Dass ein großer Teil „unserer Jugend“ immer weniger schreiben kann, ist noch eine weitere, erschreckende Erkenntnis, die ich im Zusammenhang mit dieser Entwicklung beobachte.
Lange Rede, kurzer Sinn: Exakt dieser Stoff war mein Impuls, einen Roman zu schreiben, der sich um dieses Thema rankt. Eine Hommage also an die Schrift. Einige Protagonisten in meinem Buch gab es wirklich, z.B. der distinguierte, gepflegte Professor in Schrift, der kauzige Tabellensetzer in der Bleisetzerei oder die Gepflogenheiten der Druckerei im Umgang mit ihren Kunden. Insofern hat mein Roman einen autobiographischen Kern, allerdings gebührend frei verfremdet und humorvoll ausgeschmückt. Der zweite Teil meines Romans spielt auf einer Insel, „La Hermosa“ (die Hübsche). Real ist eigentlich die kanarische Insel La Palma gemeint, auf der ich einst mal über zwanzig Jahre ein kleines Häuschen hatte und ich dir - du vulkanische Diva – hiermit öffentlich meine Zuneigung bekunde. Auch wenn du mich manchmal sehr aufgeregt hast. Halt wie in einer ganz normalen Beziehung.