Sex ist nicht gleich Sex. Das ist kein großes Geheimnis.
Es gibt ihn von »JA! JA! JA!« bis zu Na … ja …
Deshalb plädiere ich dafür, die Unterschiede auch sprachlich im Wort selber deutlich zu machen, und folge dabei einer alten Familientradition, die ich in den siebziger Jahren meinen beiden Patentanten abgeschaut habe. Nicht, dass die beiden in meiner Gegenwart unnötig viel über Sex redeten, aber hin und wieder erlauschte ich bei Familientreffen mitten in ihren demonstrativ getuschelten Konversationen dieses eine Wort, das sie so unterschiedlich aussprachen.
»Die sollen schon Sex gemacht haben«, flüsterte Tante Käthe und die Perlonfäden in den geblümten Blusen aller anwesenden Tanten streckten sich elektrisiert dem abwaschbaren Kunststoff in den Rückenlehnen der Küchenstühle entgegen.
»Sex gemacht!« Tante Käthe sprühte das Wort so vehement über ihre Kaffeetasse hinweg in unsere Wohnung, als gälte es allein durch die Artikulation Pollen zu verteilen und unsere Alpenveilchen zu bestäuben. Sie machte das »S« dabei mit einem einzigen feuchten Huschen der Zunge an die Zähne so scharf, dass die Männer im Wohnzimmer ihre Bierflaschen enger umfassten und die Frauen nach dem dunkelroten Schlehenfeuer griffen. Das war ein »S«, für das der Begriff Druckbuchstabe wie geschaffen war. Man konnte gar nicht anders als sich vorzustellen, wie es sich lüstern durch das Alphabet schlängelte, frech dem großen »B« an die Rundungen fasste, dem willigen »Y« von hinten zwischen die nach oben gespreizten Linien griff und dem »H« verwegen unter den Querstrich lugte.
Beischlaf, wenn er »JA! JA! JA!« gut ist, ist Sex.
Für die akkurate Aussprache der Na ... Ja ...-Variante bietet sich dagegen Tante Margrets Version an, obwohl ihr »S« sich niemals angeboten hätte.
»Immer geht es überall um Sechs«, beklagte Tante Margret, und ihre Zunge blieb bei der Aussprache des entscheidenden Buchstabens einfach untätig in der Mitte des Mundes liegen. Bei ihr sprühte nichts. Ihre Lippen klappten einmal kurz und trocken auseinander und wieder zusammen.
Sechs.
Es war klar, dass ihr »S« kein Aufsehen oder irgend-etwas anderes erregen wollte. Ihr »S« war vielmehr der gleiche Laut, mit dem »Sackgasse« anfing – oder »Sagrotan«. Auch das zügellose »X« am Ende des Wortes, mit seinen nach allen Seiten offenen Schenkeln, war einem belanglosen, behäbigen »ch« gewichen. Und selbst wenn Tante Margret unter dem Einfluss von zu viel Eierlikör Tante Käthe wütend zur Rede stellte, klang das, als unterstellte sie ihr, heimlich Lotto zu spielen: »Gib es zu, du hast noch Sechs mit 49.«
Mein Alter verbot es mir damals, aus diesem unterschiedlichen Zungeneinsatz Rückschlüsse auf das Sex- und das Sechsleben der Tanten zu schließen, aber ich habe diese Ausspracheregel begeistert übernommen.
»Du sprichst das so komisch«, hatte der junge Mann, mit dem ich die ersten Experimente wagte, gesagt, »das ist doch keine Zahl.« Ich hatte zustimmend genickt, was wir gemacht hatten, war keine Zahl, aber, wie ich seit jüngsten, weitergehenden Experimenten mit einer neuen Klassenkameradin wusste, Sex war es auch nicht gewesen.
Ich spüre deine Hände,
Mein Herz wird laut, mein Mund wird still.
Dein tiefer Blick spricht Bände,
Du bist jetzt alles, was ich will.
Die Welt ist ganz verschwunden,
Es gibt nur deine Haut,
Und meinen warmen Wunsch
Der neue Wege baut.
Es gibt nur dich und mich und uns
Und diese Sommernacht
Und einen hellen Mond,
Der wie die Sonne lacht.
Ich will nur dich noch fühlen
Und vorher ganz kurz klicken
Und meinen Facebook Freunden
Ein kleines Update schicken.
Bevor wir ganz in uns versinken,
Muss ich schnell tippen, posten, wischen,
Und uns auch digital verlinken,
Und unsere Daten mischen.
Es gibt nur dich und mich und uns
Und mein Mobil-Gerät,
Das meinen Exgeliebten
Den Status aktuell verrät.
Dass wir uns endlich treffen,
Hat 70 Likes bekommen,
Der Hashtag #secretLove,
Hat mir die Angst genommen.
Es gibt nur dich und mich und uns
Und digitale Nabelschnüre
Und inszenierte Glücksmomente
Und oft kopierte Liebesschwüre.
Bevor du deine Lippen,
Jetzt sanft auf meine presst.
Lass uns ein Foto machen,
Das nichts mehr offen lässt.
Und das bei Twitter dann,
Retweetet werden kann.
Und allen Zweiflern zeigt,
Sie hat das dritte Date,
Endlich mal nicht vergeigt.
© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke