Meine liebste Katze hieß Lieschen. Als ich von Hamburg nach Paris zog, musste sie mit. Lieschen war eine besondere Katze. Wir hatten ein inniges Verhältnis zueinander. Sie hing genauso an mir, wie ich an ihr. Schon in Hamburg hatte ich bemerkt, dass sie sich gern und sehr aktiv einmischte, wenn Besuch kam. War er mir wohl gesonnen, zeigte sie sich von der besten Seite. Genauso spürte sie aber sofort, wenn jemand ungute Absichten hatte. Dann spielte sie Streiche und strafte die Menschen, von denen sie annahm, dass sie mich bedrohen wollten.
Mit ihren mutigen Auftritten hatte sie mich schon oft in Verlegenheit gebracht: Sie konnte in hohem Bogen gegen feindliche Aktenkoffer pinkeln. Dafür wartete sie den exakten Moment ab, in dem sich der bedrohliche Besucher nach seinen Dokumenten umdrehte. Dann funkelte sie ihn mit schmal zusammengezogenen Katzenaugen unversöhnlich fixierend, furchterregend an. Unter ihrem zitternden Schwanz entlud sie ihre Katzenblase in einem vorbildlichen Strahl, wie Kater ihr scharf riechendes Sekret herausspritzen (wo hatte sie nur gelernt, Katerverhalten so exakt nachzuahmen), und voller Verachtung im Blick, Kopf hoch und gnadenlos auf den Konflikt-Besucher gezielt, sprang sie gleich danach mit unschlagbarer Katzeneleganz auf den mit viel Aufwand gedeckten Tisch. Dort schleckte sie, sobald jemand hinsah, die Schokolade von den Enden der Mandelhörnchen mit weiterhin furchtlosem und zugleich furchterregenden Blick mittels der gierig rosa-rauen Zunge demonstrativ ab.
Mit den wohlmeinenden Besuchern ging Lieschen gnädiger um. Besonders gern hatte sie Fotografen und Fernsehteams, die mit aufwendigen Gerätschaften kamen, um über meine Arbeit zu berichten. Geduldig stellte sie sich neben mich an den Gipsbottich. Wenn ich von den ewig wiederholten Einstellungen am Ende meiner Nerven war, hielt sie zu mir und posierte perfekt, unermüdlich.
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Als in Paris das erste französische Fernsehteam zu mir ins Atelier kam, wusste meine Katze Lieschen gleich, worum es ging. Noch bevor ich sie vorstellen konnte, näherte sie sich dem Geschehen und stellte sich unaufgefordert immer mit ins Bild. Den Franzosen fiel ihr Verhalten noch eher auf als mir. Der Redakteur fragte schließlich: „Il s’appelle comment, votre chat, wie heißt Ihre Katze?“
Im Französischen ist der Gattungsbegriff für Katzen männlich. Wie „der“ Hund sagt man in dieser Sprache „der“ Katze: Le chat. Man sagt ja auch „der“ Sonne und „die“ Mond.
In Unkenntnis dessen und zur Würdigung meiner Lieblingskatze Lieschen bestand ich auf der weiblichen Form: „Ma chatte s'appelle Lieschen. Sie heißt Lieschen.“
Schweigen in der Runde. Nur Lieschen machte ihre schönsten Mandelaugen auf das Team, ganz und gar Mariana Vlady. Da räusperte sich der Redakteur: „Madame, sagen Sie nie wieder ‚ma chatte‘, wenn Sie von Ihrer Katze reden. Das bedeutet in Frankreich was ganz anderes.“ Jetzt lachten alle. „Was denn?“, fragte ich unschuldig, während Lieschen schnurrend um die fremden Hosenbeine streifte. „La chatte bezeichnet das weibliche Geschlecht im erotischen Sinn, verstehen Sie?“
Ich bin sicher, dass ich errötete, als Lieschen, meine Lieblings-Katze, immer noch genüsslich schnurrend, zu mir zurückkehrte. Diesmal sprang sie nicht auf den Tisch, um die vorbereiteten Häppchen für das Team vor allen Augen mit der rosa-rauhen Zunge abzuschlecken und für Menschen ungenießbar zu machen. Als hätte sie ihren Auftritt erfolgreich beendet, verließ sie uns, plötzlich desinteressiert, um sich auf dem warmen Schieferdach meiner Mansarde vor anderen Katzen, Chats und Chattes, männlich und weiblich, aufzuspielen.
Schließlich wurde der gedrehte Beitrag im französischen Fernsehen gesendet. Der Redakteur begann mit den Worten: „Ich habe die Künstlerin zu Hause besucht, und ich muss Ihnen sagen, elle a la plus belle chatte de toute la France.“ Indem er das weibliche Wort Chatte benutzte, obwohl die männliche Form Chat korrekt gewesen wäre, sagte er in Wirklichkeit: „Sie hat die schönste Stelle zwischen den Beinen von ganz Frankreich!“
Mir, der gerade frisch in die geheimen Fallen der französischen Sprache Eingeweihten, stockte der Atem. ‚Ganz Frankreich‘ dagegen brach in Jubel aus. Im Sender liefen die Telefondrähte heiß. Mit dieser völlig eindeutig zweideutigen Äußerung, meiner Ansicht nach hatte sich der Redakteur nicht zufällig versprochen, wurde er zum Star, zum Liebling des französischen Publikums. Bis heute. Dabei weiß heute niemand mehr so richtig, warum er so beliebt ist. Meine Lieblings-Katze Lieschen wurde eines Tages von einem Auto überfahren. Aber meine „Chatte“ lebt weiter. Ob sie die Schönste von ganz Frankreich ist, weiß ich nicht. Aber ich habe sie nun einmal.
© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke