Je länger die Pandemie dauert, desto klarer wird es, dass es ein enges Rennen wird.
Und nein, ich meine nicht den entscheidenden Wettlauf zwischen weitgehender Immunität und neuen Virusmutationen, sondern ich denke an die andere, oft übersehene Herausforderung:
Können wir dieses Land durchimpfen und damit aus dem Lockdown befreien, bevor jede*r Deutsche einen eigenen Podcast hat?
Zur Erinnerung: Das seltsame englische Kofferwort „Podcast“ setzt sich zusammen aus „pod“, also der Bezeichnung für den tragbaren Audioplayer iPod, auf dem das Medium vor beinahe zwanzig Jahren zum ersten Mal Verwendung fand, und dem Wort für Sendung oder englisch „Broadcast“. Eine kleine Sendung für eine kleine Gemeinde Gleichgesinnter* also, die 19 lange Jahre friedlich vor sich hin podcastete und nicht danach verlangte, dass sich das ändert …
Aber dann kam 2020 und wir wurden plötzlich kollektiv zurückgeworfen auf unsere vier Wände und drei Interessen und sahen uns ratlos um. Da es zudem zum Zeitgeist passt, dass die meisten lieber reden als zuhören, fand zusammen, was nicht unbedingt zusammengehört.
Dass die Kanzlerin einen Podcast hat, ist wichtig, und auch Herr Drosten besitzt Informationen, die den Laien fehlen. Aber so, wie das Virus grassiert und mutiert, so entwickeln auch die voneinander isolierten Bundesbürger*innen zunehmend Sendungsbewusstsein.
Zuerst ereilte es die Schriftsteller*innen, Künstler*Innen, Musiker*innen und alle anderen, denen das Virus die Bühnen unter Buch, Instrument und Kostüm weggerissen hatte. Mit ihren neuen Audio- und Videopodcasts infizierten sie nach und nach den Rest. Jede*r stellte fest, dass es noch einen ungenutzten Raum und vor allem ein Thema gab, über das es sich zu reden lohnte.
Sex, Serien, Politik, Pandemie, Kochen, Basteln, Medizin, ungelöste Verbrechen, Modelleisenbahnen, Gärtnern, Reisen, die Kultur, das Klima der Fußball, die Philosophie und alle anderen Themen werden nun täglich / wöchentlich / monatlich von oft unbeholfenen Mündern in unbekannte Ohren transportiert. Es gibt Podcasts zum Aufwachen und zum Einschlafen, und natürlich gibt es auch Podcasts über das richtige Podcasten.
Was in den Siebziger Jahren der zur Hausbar umgebaute Keller war, kann so schon bald das technisch aufgerüstete Arbeitszimmer sein, und die Wohnungsanzeigen der nahen Zukunft werden vermutlich vorauseilend mit der Kombination drei Zimmer, Küche, Diele, Tonstudio werben.
Selbst TV-Persönlichkeiten und Influencer, die sich schon auf allen Altären des Privatfernsehens geopfert haben, spucken jetzt auch noch die letzten Belanglosigkeiten ihres Alltags gegen den häuslichen Popschutz.
Popschutz.
Dass ich das Wort überhaupt kenne und nicht für eine umgangssprachliche Bezeichnung aus dem Verhütungsspektrum halte, enthüllt, dass meine warnenden Worte mit Vorsicht zu genießen sind, weil auch ich einen Podcast habe, den Sie natürlich schnellstens abonnieren sollten.
Wir hören uns dann.
Anne Bax, 17. März 2021
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