Das luxuriöse Praktikum, von Franz Spengler

 „Wir treffen uns am Montag“, hieß es in der Mail vom konkursbuch Verlag, und unten stand eine Adresse. Ich wunderte mich, denn Google war anderer Meinung über mein Reiseziel. Florian, mein Kollege der letzten Monate, sitzt an seinem Arbeitsplatz schräg neben mir, als ich diesen Blogbeitrag schreibe, und erklärt mir, er habe sich die Erwähnung der Adresse angewöhnt – weil man mit einem ganz anderen Bus fahren muss, um hier und nicht im Sudhaus zu landen, und sich Praktikanten schon verirrt hatten. Im Sudhaus ist der Ausstellungs- und Versandraum des Verlags.

Eigentlich hätte ich eine Woche meines Praktikums auch im Sudhaus verbracht. Auf der Buchmesse in Leipzig waren alle vom Verlag gefragt. Ich hätte im Süden bleiben und im Sudhaus arbeiten sollen. Die organisatorische Seite von Veranstaltungen würde ich bei Love Bites am Ende des Praktikums kennenlernen und sicher auch beim Verlagsfest im Juni. Doch dann war das Zeitfenster zu, ich konnte nicht mehr eingelernt werden, und auf einmal ist die Woche leergefegt.

 

Stand ich kurz davor, auf der faulen Haut zu liegen und zu der Jugend zu werden, vor der uns die Kulturpessimisten gewarnt haben?

Vielleicht. Verlag bedeutet viel Arbeit und wenig Geld. Vage wusste ich das, als ich mich um den Praktikumsplatz beworben habe. Und so arbeitete ich auch in der Woche Buchmesse, doch die Resultate wollen nicht so aussehen.

 „Home office“ sagten meine Eltern dazu, und technisch gesehen ist es wohl genau das. Nach einem kurzen Flirt mit geregelten Arbeitszeiten an einem echten Arbeitsort saß ich also am Montagmorgen im Elternhaus vor meinem PC und begann mit der Arbeit – vieles ist tatsächlich von zu Hause aus machbar – und war auf einmal in der Hölle: Die einfache Arbeit wurde unüberwindbar, die Stunden krochen dahin.

 

Die Tage im Verlag waren völlig problemlos herumgegangen – was sehr erleichternd war. Das Praktikum war nämlich mein erster Einblick in die geregelte Arbeitswelt. Natürlich hatte das nicht in meiner Bewerbung gestanden. Oder nur zwischen den Zeilen des Lebenslaufs, in dem kein Praktikum und kein Arbeitsverhältnis auftauchten. Das letzte Mal, als ich eine Woche lang jeden Tag in Räumen hocken musste, war in der Schule. Ich bin froh, dass die vorbei ist.

 

Dienstag ging es genauso weiter. Das konnte doch nicht sein! Die Woche davor, die erste Woche des Praktikums, konnte ich alles, und jetzt musste ich minütlich den Reflex niederkämpfen nachzusehen, ob etwas Neues in der Online-Zeitung stand? Und eine kleine Pause auf Youtube konnte ich mir auch gönnen, oder? Theoretisch lautete die Antwort "Ja", da ich nicht kontrolliert wurde, aber praktisch war ich unglücklich. Im Verlagshaus hatte ich keine Probleme mit der Konzentration.

Kurzerhand entscheide ich umzuziehen. Laptop raus und ab in den Raum nebenan. Die Konzentration war da! Ich plante, auch meine Bachelorarbeit an einem Ort zu schreiben, an dem ich nicht meine Freizeit erbringe. Nur ein kleines Problem tauchte jetzt noch auf: Mein von der Uni bereitgestelltes Word lief in dieser Woche aus, und unser Webseiten-Hostingservice ging mir gewaltig auf die Nerven: "Formatierung entfernen" bedeutete anscheinend auf drei verschiedenen PCs vier verschiedene Dinge. Ich war damit beschäftigt, Leseproben auszusuchen und einzustellen und konnte so den Verlag sehr gut kennenlernen. Eine schöne Arbeit, dazu später mehr.

 

Aus einer Woche werden zwei, weil ich erkältet bin und nicht unbedingt den Rest des Verlages anstecken wollte – was mir die Stunde Fahrt in jede Richtung ersparte. Für dauerhafte Arbeit, so nahm ich mir vor, will ich möglichst wenig Weg in Kauf nehmen. Oder vielleicht Home Office machen, sofern ich das dafür ein Home mit Office habe. Oder eine Küche, die gerade nicht verwendet wird.

Die Möglichkeit des Home Office war übrigens nicht das einzig Luxuriöse an meiner Arbeit: Weil man mich immer erst in die Aufgabe einlernen musste, bleiben mir zeitlich enge Aufgaben erspart. Das sorgte für einen sehr angenehm strukturierten Arbeitstag. Jeden Tag stand ich um die gleiche Zeit auf und war um die gleiche Zeit wieder zu Hause. Ein Buch bis in die frühen Morgenstunden Korrektur zu lesen, damit auch ja keine Fehler im Druck landen, oder in die Nacht arbeiten, weil so unendlich viel zu erledigen ist, sind authentische Verlagserfahrungen, die mir leider erspart geblieben sind. Es wäre auch zu riskant gewesen, jemanden, der mit Korrektur keine Erfahrung hat oder der nicht ganz rechtschreibsicher ist, dafür einzusetzen. Eine Erfahrung machte ich doch: dass Fehler im fertig gedruckten Buch übrig bleiben und alle, die ein Buch gemacht haben, im schönen Moment des ersten Blätterns im neuen Buch diese sofort finden.

 

Meine Praktikanten-Praxiserfahrung ist also falsch: die geregelten Arbeitszeiten sind ein unrealistischer Standard. Arbeit zu finden, in der ich das Home Office genießen kann, wird vermutlich unmöglich, und wenn doch, werde ich vermutlich nicht genug Platz haben, um die dringend benötigte Raumtrennung zu vollziehen, sobald ich bei meinen Eltern ausgezogen bin. Einen dermaßen schön dekorierten Arbeitsplatz wie hier im Verlag kriege ich sowieso nie wieder, und wenn in Zukunft Nacktes auf meinem Bildschirm auftauchen sollte, dann ist ein Wort mit den Vorgesetzten zu befürchten. Aber zumindest bekomme ich keine unrealistischen Gehaltserwartungen für den modernen Arbeitsmarkt. An die Freiheit, die damit einhergeht, darf ich mich allerdings auch nicht gewöhnen.

 

PS Fortsetzung über die Bücher, die ich beim Leseproben auswählen für mich entdeckt habe, folgt

 

Franz Spengler

 

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