Das digitale Silberputztuch, von Henrike Lang

Vor jedem Verwandtenbesuch, etwa zu Ostern, musste ich früher als Kind das Silberbesteck aus Schublade holen und polieren. Das hasste ich - warum der Aufwand? Sonst nahmen wir doch Chromargan. Lief nie an, konnte in die Spülmaschine. Scheiß auf Silber.  

 

Allerdings kochte meine Mutter bei solchen Gelegenheiten auch etwas Besonderes und nicht Kartoffelbrei aus der Tüte mit Fischstäbchen und Tiefkühlerbsen, wie sonst. Ihr Rindergulasch, das im gusseisernen Bräter stundenlang vor sich hin köchelte, hatte sich das glänzende alte Spatensilber am Ende verdient.  

 

Sie bekommen jetzt Hunger und fragen sich, warum ich das alles schreibe? Weil mich die neue Website des konkursbuch Verlags an ein Silberputztuch erinnert: Titel für Titel werden gerade ältere, halb vergessene Romane und Fotobücher aus 40 Jahren Verlagsgeschichte hervorgeholt und auf Hochglanz poliert. Plötzlich schimmern sie wieder, und man sieht, dass sie tatsächlich aus Silber sind, kein schwarzes Blech.

 

Auf der alten Verlagshomepage waren viele Schätze, trotz aller Mühe, teils kaum noch sichtbar, quasi angelaufen. Ich wünsche ihnen von Herzen neue Leser. Jedenfalls sehe ich nur das Silber: Dagmar Fedderke! Ältere Titel von Phoebe Müller oder Karin Rick! Kaum jemand hat mich als junge Autorin so sehr beeinflusst wie diese Autorinnen.

 

Sie alle schrieben in meinen Augen mehr als Unterhaltungsliteratur, sondern waren Abenteuerinnen, Forscherinnen, die mit künstlerischen Mitteln die Wirklichkeit erkundeten. Diese komplexe, verzwickte, oft moralisch schmuddelige Wirklichkeit von Menschen - dort porträtiert, wo sie sich nicht verbergen können: nackt im Bett.

 

Meist ist bei "Forschung" nur von Wissenschaft die Rede, aber auch Literatur ist eine Forschungsweise; ohne kognitive Durchbrüche hat sie keinen Rang. Die Autorinnen, die Claudia Gehrke Anfang der 90er Jahre in den konkursbuch Verlag holte, verbanden intellektuelle und sinnliche Offenheit. Sie nahmen eine kulturelle Hochzeit Deutschlands wieder auf, die 20er Jahre - besonders spürbar bei der Berliner Literatin, Sängerin und Malerin Annette Berr (auch eine Große).

 

Auch das reine Vergnügen zählt. Besonders liebe ich einige erotische Fotobücher. Der Dupouy mit seinen orientalischen Fotoszenen, sooo lecker! Oder lesbische Inszenierungen von Daijna Roos und Laurence Jaugey-Paget. Nichts Weltbewegendes, werden Kunstkritiker sagen, aber genau der Stoff, der Prediger jeder Art schäumen lässt, weil da Menschen einfach leben und Spaß haben, einfach so, ohne größeres hehres Ziel, ohne jegliche Selbstoptimierung.

 

Nichts zu müssen. Als Autorin volle künstlerische Freiheit zu haben, das ist für mich Claudia Gehrke. Genießen Sie den konkursbuch Verlag.

 

Henrike Lang

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